das Thier trägt es aufgerichtet und die Hände beständig gefaltet und erhoben, wie beim Beten. – Die Menschen lieben und achten dieses Geschöpf wegen seiner Frömmigkeit. Morgens, Mittags und Abends, so erzählen die Wilden, setze es sich mit dem Gesichte gegen die Sonne, erhebe die zum Gebet gefalteten Hände, singe einen Psalm mit feiner schrillender Stimme und bete dann lange Zeit inbrünstig und still vor sich hin. Sie erwecken Mitleiden durch ihre Magerkeit, ihr duldsames Aussehen, ihre demüthigen Manieren. Bei den Wilden geht die Sage, der große Geist habe sie auf die Erde gesetzt und angewiesen zur Bekehrung der Menschen. Von Hunger ausgemergelt, sollen sie durch ihr Beispiel die Menschen belehren, bei Hungersnoth und anderen Fahrnissen die Hände bittend nach dem Himmel auszustrecken, von wo ihnen Hülfe in der Noth kommen werde. Auch in Euren Landen, lieber Vetter, kommt dieses Thier zuweilen vor. In Mähren und Bayern, besonders aber im Wallis gedeiht es. Franz von Paula Schrank, ein frommer, biertrinkender Gelehrter aus München, hat es den Menschen zum Muster aufgestellt, sie ermahnt, gottesfürchtig zu sein, wie das wandelnde Blatt, zu beten und sich zu kasteien, wie diese frommen Insekten, die beständig mit flehend zusammengelegten Händen umhergehen und für ihre Sünden um Vergebung bitten.
O Vetter Hirschkäfer! Wie viel Heuchelei ist in der Thierwelt! Der gute Franz von Paula Schrank! Er muß seinen Verstand so ziemlich eingebüßt haben über vergeblichen Versuchen, ein altes abgeschmacktes Mährchen über die Schöpfung der Erde in sieben Tagen, das unter den Menschen umgeht, mit den wissenschaftlichen Forschungen in Einklang zu bringen! Es gibt kein blutdürstigeres, räuberischeres
Carl Vogt: Untersuchungen über Thierstaaten. Literarische Anstalt, Frankfurt am Main 1851, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Untersuchungen_%C3%BCber_Thierstaaten-Carl_Vogt-1851.djvu/162&oldid=- (Version vom 1.8.2018)