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dem Thurme schlug es zwölf: in demselben Augenblicke öffnete sich der Felsen. Freudig eilte das Mädchen in die Höhle. Und welche Freude! auf dem Tische sass das Söhnchen und spielte mit einem goldenen Apfel. Eilig erfasste die Mutter ihr Kind und lief mit demselben hinaus, schnell wie der Wind; sie sah sich nicht um und stand nicht still, bis sie glücklich nach Krapitz kam. Hier erst vermochte sie sich von Herzen über die glückliche Errettung ihres Sohnes zu freuen.

bei Löbau.     
4.

Das Wasser des Lebens.

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Einstens wurde der König sehr krank; da liess er seine Söhne zu sich kommen, denn er dachte, er werde sterben. Nachdem er die Söhne ermahnt hatte, sie sollten nach seinem Tode nicht in Zank und Zwietracht leben, gingen dieselben traurig in den Garten, denn sie mochten nicht glauben, dass ihr Vater sterben werde. Als sie so in dem Garten auf und ab gingen, trat ein alter Mann an sie heran und fragte, warum sie so traurig seien. Da sagte der älteste Sohn: „Unser Vater ist sehr krank und wird diese Erde wohl bald verlassen.“ Der Mann erwiederte: „Ein Arzt kann Eurem Vater freilich nicht helfen, aber dasjenige Mittel, welches ich Euch sagen werde, wird ihn vom Tode erretten.“ Erstaunt horchten die Söhne auf und fragten, was das für ein Mittel wäre. Der Mann sagte: „Es ist das Wasser des Lebens. Einer von Euch muss sich aufmachen und dasselbe holen, den Weg wird er schon finden.“ Nach diesen Worten war der Mann verschwunden. Der älteste Sohn ging sogleich zu seinem Vater und sagte ihm, dass er ihn vom Tode erretten wolle, er werde ihm das Wasser des Lebens holen. Der alte König gab ihm seinen Segen; darauf nahm der Sohn von seiner Mutter und von seinen Brüdern Abschied und ritt zum Schlossthore hinaus.

Er war schon viele Tage geritten, als er in einen grossen Wald kam; in dem Walde gelangte er an einen Kreuzweg, an welchem ein Männchen sass. Das Männchen fragte: „Wohin Du junger Reiter?“ Der Prinz erwiederte: „Das