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solche vorhanden gewesen), während die Gliedmaßen des 3.–5. Segmentes zu Kiefern umgebildet werden und dabei jede Beziehung zur Fortbewegung aufgeben. Letzterer Funktion dienen eine Reihe weiterer, thorakaler und abdominaler Gliedmaßen. Bei den Arachnoideen kommt es dagegen niemals zur Ausbildung richtiger Kiefer. Das 2. Segment[1] trägt keine Antennen, sondern die als Cheliceren bezeichneten Gliedmaßen, mit denen die Beute erfaßt oder verletzt wird, vielfach unter Einbringung von Gift in die Wunde. Die Gliedmaßen des 4.–7. Segments dienen als Beine der Fortbewegung, die des 3. Segments, die Pedipalpen, sind verschieden entwickelt, als Greiforgane oder Tastorgane, aber doch fast beinähnlich; weitere gut entwickelte Gliedmaßen sind nicht vorhanden. Das Fehlen richtiger Kiefer bei den Arachnoideen hängt damit zusammen, daß diese Tiere typisch von flüssiger Nahrung leben; sie saugen die Säfte der erbeuteten Tiere aus, wobei jedenfalls bei einem Teil der Arachniden das in die Beute gebrachte Sekret der Speicheldrüsen (Gift) die festeren Gewebsteile verflüssigt und zum Aufsaugen geeignet macht (sog. Außenverdauung). Die Mundbildung bleibt dabei mitunter ganz frei von den Gliedmaßen, also äußerst primitiv! Die Skorpione sind allerdings dazu übergegangen, ihre Nahrung zu zerkleinern und haben dazu an der Basis der Pedipalpen und der zwei ersten Beinpaare Kauplatten entwickelt; bei den Merostomen, welche ihre Beute fressen, ist diese Entwicklung noch weiter vorgeschritten, indem alle Beine an der Basis Kauplatten tragen. Aber diese Gliedmaßen werden dabei nicht zu Kiefern, und dies kann auch kaum eintreten, weil sie die Fortbewegung der Tiere besorgen müssen und daher nicht entbehrt werden können[2]. Deshalb können diese Gliedmaßen auch nicht nach vorn verschoben werden und sich um den Mund gruppieren, wie es bei den Krustazeen der Fall ist, sondern die Mundöffnung muß nach hinten verlagert werden!

Es ist nun kaum denkbar, daß der eine Anpassungstypus der Krustazeen (der auch schon bei den Trilobiten, wenn auch noch in primitiver Form, vorhanden ist), zum Arachnoideentypus umgeändert werden könnte. Es müßten dann die schon zu Kiefern, Mundteilen umgebildeten Gliedmaßen der Krustazeen wieder zu normalen, der Fortbewegung dienenden Beinen umgeändert werden. Dies ist sehr unwahrscheinlich,


  1. Das erste Segment ist das Prächeliceren-Segment, welches wahrscheinlich ein unter Verlust seiner Gliedmaßen rudimentär gewordenes echtes Antennensegment darstellt.
  2. Daß bei den Krustazeen vielfach Gliedmaßen zu Kauwerkzeugen werden, als sog. Maxillipeden, ist möglich, weil noch weitere Gliedmaßen als Beine zur Verfügung bleiben.
Empfohlene Zitierweise:
Jan Versluys: Die Abstammung und Differenzierung der Gigantostraken. Gebrüder Borntraeger, Berlin 1923, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Versluys_Abstammung_und_Differenzierung_Gigantostraken.djvu/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)