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wir uns gesetzt, als ein Diener mit einer schönen persischen Gießkanne kam; er kniete nieder, zog uns die Schuhe aus und begann, uns die Füße zu waschen. Diese mit einer gewissen Würde und mit dem Bewußtsein, eine Pflicht der Gastfreundschaft erfüllt zu haben, vollzogene That, machte einen eigentümlichen Eindruck auf uns. Fanden wir nicht am Ende des neunzehnten Jahrhunderts dieselbe Form der gastfreundlichen Höflichkeit wie zu Abrahams Zeiten?

3. Oktober.

Der Morgen war unangenehm; wir mußten zum Zollamte und alsdann dem Kaimakan, dem Chef des Kasa oder des Gebietes von Guiavar, einen Besuch machen, und keiner der Beamten beeilte sich überhaupt aufzustehen. Der Kaimakan empfing uns sehr zuvorkommend; aber das Zollamt ist türkisch geblieben. Der Pfarrer hatte uns vorher schon in Kenntnis gesetzt über die Schwierigkeiten, die uns durch unsere Drucksachen erwachsen könnten; auch erbot er sich in liebenswürdigster Weise, unsere Bücher bei sich zu verbergen. Wir ließen also in unseren Koffern nur einige chaldäische Gebetbücher und einige alte französische Zeitungen.

Das ganze Zollamt geriet in Verwirrung! Die chaldäischen Bücher konnten auf das Wort des Vaters, der sich für ihre Ungefährlichkeit verbürgte, passieren; aber für die Zeitungen war dies nicht zulässig. Mit den klarsten Gleichnissen suchten wir den Beamten den mannigfachen Gebrauch dieser Journale auf der Reise begreiflich zu machen, aber die Sache war zu wichtig. Sie mußten nach Baschkala geschickt werden, wo ein Beamter war, der die französische Sprache verstand. Nun fand sich bei den Zeitungen noch ein verirrter Brief, der wieder den Gegenstand großer Beunruhigung bildete. Als Hyvernat von dem Brief reden hörte, nahm er ihn ruhig und zerriß ihn; jetzt geriet der Chef des Zollamtes bei nahe in Verzweiflung. „Wie,“ schrie er, „Sie zerreißen den Brief, und ich habe in meinem Bericht schon davon gesprochen? Haben Sie keinen andern?“ Auf diese naive Frage zog Hyvernat ganz bedächtig einen aus seiner Tasche. „Päkei, Päkei!“ (sehr gut, sehr gut) schrie der Zollamtsvorsteher ganz entzückt, da er den zerrissenen Brief ersetzen konnte. Alles war gut, und niemand dachte daran, die Nachforschungen nach andern wichtigen Dokumenten noch fortzusetzen.

Der Besuch auf dem Zollamte war offiziell beendigt; aber das Ganze war ohne Backhschich verlaufen, und diese Frage mußte noch nebenbei erledigt werden. Kascha-Giverghis übernahm dies für uns. Aber all sein Kommen und Gehen, all seine Besuche fruchteten nicht viel, so daß wir erst um drei Uhr des Nachmittags in der Begleitung zweier Zabtiehs unsere Reise fortsetzen konnten.

Abreise 3 Uhr nachmittags.

Auf einer Strecke von anderthalb Stunden ist der Nehil-Tschaï , an dessen Ufer wir weiterzogen, ein Fluß mit ruhigem Lauf; an einer Stelle bildet er sogar eine sehr tiefe Lagune, die mit Schilf eingefaßt und mit Knäkenten bevölkert ist. Aber bald wagt er sich in die außerordentlich engen und steilen Engpässe. Um die von den Felsen gebotenen Hindernisse zu überschreiten, muß man sich eines Pfades bedienen, der in phantastischer Weise bald steigt, bald fällt; er ist einfach schrecklich, aber der Anblick ist wunderbar. Auf dem Grunde der Schlucht fließt der Nehil-Tschaï, dessen Wasser in smaragdgrüner Farbe schimmert; nach Süden zu erhebt sich ein ganzes Chaos von hohen, mit ewigem Schnee bedeckten Bergen. Der

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/142&oldid=- (Version vom 1.8.2018)