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Um die Wälle breiten sich gewöhnlich Obstgärten aus, deren Ertrag zuweilen zur Reife kommt, ohne daß die Räuber einen starken Zehnten davon erheben. Aber die Gärten sind selten bewohnt, weil die Briganten ihre Raubzüge darein ausdehnen könnten.

Indes ist es hier ganz anders.

Die Festung von Wan ist ein isolierter Felsen inmitten der Ebene und bildet so eine natürliche Warte, von der aus man die Umgebung bewachen kann; eine kleine Garnison genügt darum auch, um die Bannmeile zu verteidigen. Die Bevölkerung der Stadt, zum größten Teil aus Armeniern bestehend, intelligente, zuweilen reiche Leute, nutzt diese günstige Lage zu ihrem Vorteil aus.

Da die Bewohner Wans den Stadtwällen die Sorge um den Schutz der krummen Gassen vertrauen, wo sich in den Bazars die Waren anhäufen, konnten sie nach ihrem Belieben ihre Wohnungen in das Feld bauen, wo sie Raum und Luft hatten. Dadurch sind nach und nach „die Gärten“ entstanden. Die Avenüen der Gärten waren durch die alten Pfade vorgezeichnet, die von verschiedenen Punkten der Ebene aus bis zu den Stadtthoren gingen; einige Weiler bilden gleichsam den Mittelpunkt dieser Ansiedelungen.

Die Festung Wan, von den „Gärten“ aus gesehen.

Da die Bewohner Wans die Unbequemlichkeit ihrer engen Gassen mehr als zur Genüge kannten, so konnte es nicht ausbleiben, daß sie den neuen Avenüen in den „Gärten“ eine größere Breite gaben. Zahlreiche Quellen standen zu ihrer Verfügung; diese wurden zur Bewässerung benutzt, und überall sieht man an der Seite der Avenüen kleine Bäche, deren Ufer mit weiden oder Pappeln eingefaßt sind. Zuweilen zählt eine Avenüe vier oder auch sechs Reihen Bäume.

Hinter diesen Bäumen verbergen sich lange Mauern aus Stampferde, die den Obstgarten und in demselben das Wohnhaus beschützen. Die modernsten Wohnhäuser verschmähen den Schutz der Einfassungsmauer und sind dicht an der Avenüe errichtet. Wagehälse haben sogar auf das Erdgeschoß noch eine oder zwei Etagen gebaut. Es ist dies wirklich gewagt; denn die Häuser sind aus ungebrannten Ziegelsteinen errichtet, und dieses Material ist doch für eine solche Bauart sicherlich nicht geeignet.

In vielen Häusern ist der alte Muscharabi, dieses netzartige Gitter aus Holz, das bestimmt war, den Einblick in das Innern der Wohnung dem profanen Auge zu verwehren, jetzt verschwunden.

Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/177&oldid=- (Version vom 1.8.2018)