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um jeden Preis einen Kampf haben will. So sieht man diese Art Türken die Repräsentanten der wildesten und grausamsten mohammedanischen Tendenzen werden.

Andere nehmen das niedrigste und fanatischste Programm auf, ohne irgend einer positiven Überzeugung zu gehorchen, lediglich aus Zorn und Eifersucht über ihre Ohnmacht der Christenheit gegenüber.

Die Mehrzahl der Zivilbeamten in Wan gehören zur „Jungen Türkei“. Einige Züge mögen zur Beleuchtung ihres Charakters dienen.

Die Nestorianer in dem Thale des Zab, die lange Zeit unabhängig waren, müssen jetzt den Türken einen Tribut entrichten, der durch ihren Patriarchen Mar Schimun gezahlt werden muß. Seit einigen Jahren dispensierten sich die Nestorianer von der Zahlung dieses Tributes, und die Türken machten keine Anstalten, durch überzeugende Beweise ihren Tribut zu verlangen.

Die kurdischen Stämme, die um die Nestorianer herum wohnen, befinden sich stets mit diesen in mehr oder weniger offenen Feindseligkeiten. Sie warteten nur auf ein Zeichen, um die Nestorianer anzugreifen.

Plötzlich vernahm man die Nachricht, daß sie sich vereinigt hätten und mit allen Kräften ihre Rüstungen betrieben, um die Nestorianer zu überfallen, zu berauben und niederzumetzeln. Sie betrieben die Vorbereitungen dazu mit Wissen des Walis von Wan. Die böse Welt beschuldigt den Wali allerdings, daß er die Kurden unterstützt habe, um sich durch diesen Raub- und Kriegszug für die Schwierigkeiten zu rächen, die ihm die Nestorianer verursachen. Glücklicherweise regte sich die öffentliche Meinung Englands noch zur rechten Zeit, und die englische Regierung, die durch die letzten Verträge die Verpflichtung eingegangen hat, die Christen Asiens zu schützen, und die zudem bei den Nestorianern dem russischen Übergewicht ein Gegengewicht anzuhängen sucht, sah sich dieses Mal genötigt, aus ihrer gewöhnlichen Reserve herauszutreten. Die Türken waren schließlich gezwungen, Truppen auszuschicken, um die Vorbereitungen der Kurden aufzuhalten. In dem Augenblick, wo wir in Wan ankamen, hatte der Wali gerade diese Truppen in die Provinz Hakkiari begleiten müssen, um die Kurden niederzuwerfen, die er zu dem Überfall ermutigt hatte. Es mag dies für ihn eine unangenehme Aufgabe gewesen sein. Nichtsdestoweniger erzählt man sich, daß das Ansehen Khalil Paschas dadurch bei dem Sultan nicht gelitten hat.

Das Verdienst, eine armenische Verschwörung zu entdecken und niederzuwerfen, scheint mit Recht dem Wali die Krone aller Glorie zu sein, die er zu erlangen fähig ist. Eine wirkliche Verschwörung befürchtet er durchaus nicht; ihm fehlt es eben an einer solchen. Es kann nicht ausbleiben, daß er eines Tages eine solche „erfindet;“ die Listen der Verdächtigen sind schon fertig gestellt, und die Unglücklichen werden gefänglich eingezogen. Aber die Gegenwart der Konsuln geniert den Wali bei seinen Anschlägen, weshalb er versuchte, sich ihrer zu entledigen. Er vereinigte einige armenische Notabeln, die er durch Einschüchterungen zwang, eine Petition an den Sultan zu richten, um sich über die Konsuln zu beklagen und ihre Entfernung zu verlangen. Diese Notabeln übernahmen den feigen Auftrag, das Volk zu täuschen und ihm vorzuhalten, der Zweck der Petition sei, die Freilassung der politischen Gefangenen zu erbitten. Der Pöbel unterzeichnete darauf die Petition in Menge, ohne die Petition gelesen zu haben. Aber ein geringer Armenier, der etwas mißtrauisch

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Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/183&oldid=- (Version vom 1.8.2018)