Seite:Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen.pdf/303

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

mohammedanischen Ländern ist ein großer Unterschied zwischen dem Gesetz und der Ausführung desselben. Übrigens schützte diese Anerkennung der christlichen Gemeinschaften die Christen sehr wenig und war nicht im stande, das Brandmal, das sie in den Augen der Türken tragen, zu verwischen. Bis zum Frieden von Tanzimat (1839) oder besser gesagt, bis zum Berliner Vertrag (1878) wurde nicht einmal das Zeugnis eines Christen beim Gerichte angenommen.

War ein Christ vor Gericht geladen, so mußte er sich mohammedanische Zeugen kaufen; dieser Zustand ist zwar in der Theorie geändert worden, aber in der Praxis hängt auch heute noch sehr viel von dem Urteil der Richter ab. Vor fünfzig fahren konnte kein Christ ein schönes Kleid auf der Straße tragen, ohne Gefahr zu laufen, daß der erste beste Muselman ihm befahl, die Kleider auszuziehen und sie ihm einzuhändigen; den Christen war es verboten, Seide zu tragen oder bis in das Innere einer Stadt zu reiten. Machte ein Christ einen Einkauf im Bazar, so war es ihm verboten, irgend einen Gegenstand anzurühren, um ihn näher zu untersuchen, denn jeder von einem Christen berührte Gegenstand galt als unrein und mußte von dem Christen gekauft werden. Man begreift, zu welch schändlicher Ausbeutung diese gesetzliche Ächtung der Christen führen mußte. Viele Gewerbe waren den Christen, wenn auch nicht durch Vorschriften, so doch durch die Praxis verboten. Alle Ämter waren ihnen verschlossen. Schlug ein Muselman einen Christen, so mußte dieser es geduldig leiden, da es dem Christen verboten war, einen Türken zu schlagen, wenn er nicht die Strafe des Handabhauens erdulden wollte.

Was die Sicherheit des Lebens oder des Eigentums betrifft, so haben die Blutbäder vom Libanon und noch deutlicher die von Bulgarien und die armenischen Greuelthaten vom Jahre 1895 dem erschrockenen Europa gezeigt, wohin der aufgeweckte Fanatismus führt.

Die Metzeleien vom Libanon haben Europa durch ihre außerordentliche Ausdehnung und die Nähe des Schauplatzes aufgerüttelt; der letzte russisch-türkische Krieg war die Antwort auf die Blutbäder von Bulgarien. Aber ähnliche Ausschreitungen waren in dem Innern des Reiches keine Seltenheit. Muhamed, Bey von Revanduz, überfiel 1841 das Gebiet von Mosul, brannte und metzelte alles nieder, was christlich hieß, und zerstörte von Grund auf das Kloster von Rabban-Hormis. Die Hohe Pforte war gezwungen, die Paschas von Diarbekr und Baghdad gegen Muhamed zu schicken; aber wurde dieser auch geschlagen, so geschah es nicht wegen der Verfolgung, sondern weil er ein ungehorsamer Vasall war; die Christen konnten keinen Vorteil daraus ziehen. Die Mehrzahl der Gefangenen des Bey wechselte durch die Unterwerfung desselben bloß den Herrn, von Freilassung war keine Rede.[1]

  1. Brief des chaldäischen Patriarchen Mgr. Isaia, Prop. de la Foi XIV. 128.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/303&oldid=- (Version vom 1.8.2018)