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Rechtsgeschäften ordentlich und öffentlich vor der Kurie geschehen lassen solle, nicht in Häusern und Winkeln; auch beschwerte sich der Rat darüber, daß der Offizial um Eigen Erbe Frieden und Frevel auch zwischen Laien richte, daß er seine Judikatur über Wucher auch auf redliche wiederkäufige Zinsen ausdehne, daß die Kurie Appellationsinstanz sein wolle für Sprüche des Schultheißen. Beiderseits aber warf man sich vor, daß der Offizial Laien oder deren Güter, der Schultheiß Kleriker oder deren Güter in Arrest lege und daß der Schultheiß Nachlässe von Geistlichen, der Offizial Nachlässe von Weltlichen inventiere.

Aber neben diesen Kämpfen ging die Praxis selbst einher, und bei ihr scheinen die prinzipiellen Gegensätze zuweilen eine opportunistische Ausgleichung gefunden zu haben. Wir gewinnen den Eindruck, daß, während die obern Gewalten um Rechte und die Beamten vielleicht um Sporteln stritten, die Parteien an ganz andere Dinge dachten und nach Umständen, nach Vorteil und Laune, oder auch ganz ohne Absichten handelten. Denn die Fälle sind zahllos, in denen z. B. Geistliche aus freiem Willen Verkäufe oder Gaben vor dem Schultheiß verbriefen lassen, vor dem Schultheiß testieren, in Erbschaftssachen einem Kläger vor das Schultheißengericht folgen usw. Der Rat, der doch selbst bei Gelegenheit das geistliche Gericht brauchte, mußte verdrießlich wahrnehmen, wie oft seine Bürger für ihre Sachen vor den Offizial gingen, wie das niedere Gericht d. h. das Schultheißengericht abnahm und das obere, das geistliche droben auf Burg, in Flor stand. Es waren nicht nur einzelne korrigierbare Mängel des Verfahrens am Stadtgericht, z. B. bei Fröhnungen, welche die Leute hinauf zum Hofgericht trieben. Wirksamer war die absolute Verschiedenheit der beiden Judikaturen. Wohl sah der Bürger am Schultheißengerichte die Urteile zustandekommen nach alter guter Gewohnheit seiner Stadt und aus der frischen Lebenserfahrung der Urteilssprecher heraus, die seine Mitbürger waren. Eindrücklicher war doch und erschien Vielen auch als geschlossener und zuverlässiger, was an der Kurie geschah: mit diesem Herrn Offizial, der an Gelehrsamkeit Alle übertraf und nicht nur wie der Schultheiß die Verhandlungen leitete, sondern selbst auch das Urteil schöpfte; mit diesen gewandten und klugen Prokuratoren Notaren usw.; mit diesem Latein; mit dieser Fülle von Formen und Formeln. Eine nur hier zu findende Spezialität war auch das scharfe Exekutionsmittel der Bannung säumiger Schuldner. Und die willkommensten Dienste leistete der Offizial dadurch, daß er die in der Diözese, namentlich in der städtischen Landschaft und im Sundgau, ansässigen Schuldner von Baslern, statt daß sie dort vor den Gerichten gesucht werden mußten, vor

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/219&oldid=- (Version vom 4.8.2020)