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Auch bei den Benediktionen griff die Kirche vielfach über das eigentlich Gottesdienstliche hinaus und überspann alles profane Leben mit dem Gold ihrer Segnungen Weihen und Exorcismen. Die Wetterprozessionen, die Weihung der Flur, die vom Bischof am Hochaltar des Münsters vollzogene Segnung des Schwertes für den neuen Ritter, die Aussegnung der Wöchnerinnen mögen aus der Menge genannt werden; namentlich aber verdient Beachtung das große Gebiet der Exequien sowie der Segnung Besprengung Bezündung und Bestreuung der Gräber.

Das Meiste geschah doch in den Kirchen und als rein gottesdienstliches Handeln. Welche Formen man ihm zu geben verstand, zeigen die Statuten, die Einträge in den Anniversarienbüchern, das große Zeremonialbuch des Domkaplans Brilinger. Es öffnen sich dabei die schönsten Blicke auf Kircheninterieurs, auf feierliches Auf- und Niedersteigen über Stufen, auf Bewegen und Reichen; und erstaunlich ist auch, bei aller Verschiedenheit sowohl der äußern Mittel als der Gesinnung, die allerorts aufleuchtende Pracht der Ausstattung mit Geweben Perlenstickereien Gemälden Goldgefäßen usw. Über all diesen Prunk hinweg wirken noch stärker die in den reichen wohlerwogenen Geberden, im Aufbau des Ganzen, in Reihenfolge und Tempo sich bezeugende Kunst, der Geist und das Stilgefühl feinster Art.

Diesen Aufwendungen und Repräsentationen, die beinah alle sich regelmäßig wiederholten, standen jene nur einmaligen Akte gegenüber, die deswegen, aber auch um ihres Gehaltes willen, als die bedeutendsten gelten konnten: die Weihen kirchlicher Räume. Doch kamen sie in dieser spätern Zeit selten vor. Die Kirchen standen schon; das mächtige Gefühl und die Freude, die einst ihre Weihung begleitet hatten, lebten nur noch entartet in den jährlichen Kirchweihfesten, deren größtes die „kalte Kirchweih“ des Münsters am 11. Oktober war; aus der ganzen Umgegend strömte das Volk an diesem Tage hier zusammen, zum Gepränge des Kirchenfestes sowohl als zum Jahrmarkt auf dem Münsterplatz unter den mit hellen Fähnlein geschmückten Türmen. Ernst und schön standen neben solchem Treiben die wirklichen Weihungen, die jetzt noch geschahen. So die grandiose Szene der Reconciliation des im Erdbeben verschütteten Münsterchores am 25. Juni 1363. Und welche Fülle des Gefühls, welcher Glaube an Überirdisches und an die Sorge der Himmlischen und Ewigen für die Menschennot, welcher Glanz von Namen, von Morgenland und Altertum, welche Wucht und Würde der Zeremonie hart neben der Alles überwindenden Kraft stillen Wandels lebt noch heute in der großen Prachturkunde von

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/252&oldid=- (Version vom 4.8.2020)