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Strafe und Nötigung in Verwaltungsdingen, zur Handhabung kirchlicher Disziplin, ja im Kampf um ihre weltliche Macht gebrauchte. Es war die widerlichste Vermischung des Heiligen mit rein äußerlichen und zeitlichen Interessen, wenn die Kurie 1395 jene Kapläne deswegen exkommunizierte, weil sie einen von ihr providierten Kanoniker nicht anerkannten, oder wenn 1475 wegen einer ähnlichen Differenz sämtliche Domherren in den Bann getan wurden. Aber das Schlimmste, eine wahre Entwürdigung der Kirche und ihrer Kraft war die häufige, ja ganz normal gewordene Anwendung des Kirchenbannes als prozessuales Zwangsmittel. Die Folgen der Maßregel waren in jedem Falle ungeheuer. Handelte es sich um Kleriker, die als gebannt ihr Amt nicht versehen konnten, so litten die Gläubigen; „was geht uns der Pfaffen Streit an?“ fragten sie erbittert und verlangten ihren Gottesdienst; auch in Beschwerdeschriften des Rates kehrt die Klage wieder, daß etliche Pfaffen schon Jahr und Tag wegen Schulden im Banne seien und man um ihretwillen in mehreren Parochieen ohne Gottesdienst sein müsse. Viel häufiger aber war natürlich die Exkommunikation von Laien in Prozessen. Als der Rat 1498 das Fröhnungsverfahren seines Schultheißengerichtes verbesserte, dessen Mängel Manchen zum Offizial getrieben hatten, wollte er damit den Leuten nicht nur die Mehrkosten des geistlichen Rechtsganges, sondern auch die Beschwerung und Schädigung ihrer Seelen durch den Bann ersparen. Peter von Weißenburg hatte des Hans Rot Frau mit geistlichem Recht in den Bann gebracht; trotzdem sie einen Teil ihrer Schuld erlegt hatte, wollte er sie noch nicht „usbannen“; da nun 1510 Weihnachten bevorstand, mußten sich die Zunftherren bei Peter für die Schuldnerin verwenden, damit sie aus dem Banne kommen und der heiligen Zeit genießen konnte. 1454 wurde gefragt, ob der Totengräber zu St. Leonhard, der wegen Geldschuld exkommuniziert worden, gleichwohl die Leute begraben dürfe.

Vom Banne verschieden war das Interdikt d. h. die Einstellung des öffentlichen Gottesdienstes und die Sistierung der meisten kirchlichen Funktionen. Die Glocken verstummten, die Kirchtüren blieben geschlossen, keine Eucharistie und keine letzte Ölung wurde gespendet, kein kirchliches Begräbnis gewährt. Es war ein Zustand, der nur als seltene Ausnahme möglich gewesen zu sein scheint. Statt dessen wurde das Interdikt unaufhörlich ausgesprochen, und auch hier wieder zeigt sich uns das furchtbare Schauspiel, daß die Kirche zu politischen Zwecken, zu Wahrung ihrer Macht und ihrer Disziplin ein Mittel anwendete, das Tausenden von Unschuldigen und Unbeteiligten die schwersten Beängstigungen brachte. Ganze Strecken des XIV. Jahrhunderts und auch im XV. Jahrhundert noch manche

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/255&oldid=- (Version vom 4.8.2020)