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Kirche damit zu verstehen gegeben, daß ihr Zustand und ihre Leistungen nicht mehr befriedigten, daß die Meinung Vieler eine andre geworden sei.

Daß im Ganzen die Stadt kirchlich gesinnt war, konnte dem Heinrich von Nördlingen sogut glaubhaft sein wie hundert Jahre später dem Enea Silvio, und auch die Kirche wagte einer solchen Gesinnung gegenüber noch immer Vieles: die Ausnützung ihrer Gnadengewalt als einer Geldquelle und die ebenso unwürdige Verquickung von Gewissens- und Heilsfragen mit politischen Interessen. Freilich blieb ihr der Rat die Antwort nicht schuldig: durch Maßregelung einzelner Kleriker oder Wegweisung ganzer Konvente oder höhnisch dadurch, daß er jene Versagung geistlicher Speise durch die Sperrung von Mühlen und Backöfen erwiderte.

Wichtiger ist die innere Wirkung dieser Vorgänge. Welchen Halt gab noch eine solche Kirche, und welche Wertung ihres Wesens mußte sich ergeben! Sie stritt und mochte siegen; aber sie trieb darüber Viele in Verzweiflung und Unglauben, oder sie ermutigte Manchen, sein ewiges Heil auch fernerhin zu suchen, aber in eigenwilliger Frömmigkeit außerhalb der Kirche.

Bei solchen außerkirchlich Frommen haben wir sogut an vereinzelte Existenzen wie an Gemeinschaften zu denken und finden sie im Umkreise des uns urkundlich nahe gebrachten Lebens am ehesten unter den mannigfaltigen Erscheinungen der Welt der Gottesfreunde, der Schwestern und Brüder, der Beginen und Begarden, der willig Armen, vielleicht auch Jener, die aus Basel den Johannes Ruysbroek zu besuchen gingen.

Für die Kirche freilich mochte jedes religiöse Bestreben, das sich von der kirchlichen Leitung frei machte, als Ketzerei gelten; es konnte auf diesem Wege, sich selbst überlassen, auch wirklich zum Irrglauben werden.

Im Gedanken hieran verstehen wir die auffallende Häufigkeit der Erwähnung von Häresieen seitens der Kirche. Auch einzelne Äußerungen sind bemerkenswert. So die Reden des Begarden Rumer vom lautern armen Leben, von der Herrschaft des heiligen Geistes über die Menschen; oder die „ungewöhnlichen“ Worte, welche die Schwester Grede Gisenmannin 1390 dem Prediger zu Augustinern öffentlich ins Gesicht warf und um deren willen sie aus der Stadt gewiesen wurde. Schon zu Beginn des XIV. Jahrhunderts hatte die Kirche hier die Beginen und Begarden als Ketzer betrachtet und war mit den schärfsten Mitteln gegen sie aufgetreten. Hundert Jahre später nahm die Kirche den Kampf nochmals auf und führte ihn jetzt durch bis zur Vernichtung der Beginen. Zwischen beiden Stürmen lag, wie wir sahen, eine Zeit starken Gedeihens des Beginenwesens in Basel.

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/276&oldid=- (Version vom 4.8.2020)