Seite:Wackernagel Geschichte der Stadt Basel Band 2,2.pdf/281

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

seines Standes und die stolze Unterscheidung vom Laienvolke. Er soll die Tracht des Geistlichen nicht ablegen oder verhüllen; er soll allezeit Tonsur und Rasur haben, um sich stets ausweisen und seine Privilegien geltend machen zu können. Aber weltliche Eitelkeiten werden auch um ihrer selbst willen an Geistlichen nicht geduldet: die bunte Farbe von Kleidern und Schuhen, das feine Linnenhemd, die silbernen Verzierungen der Gürtel, das lange gekräuselte Haar, die Waffen usw. An üblere Gewohnheiten der Kleriker erinnern die Verbote des Wirtshausbesuches, des Würfelspieles, des Tanzes, des Betriebes unschicklicher Geschäfte. Den Laien, die bei einem notorisch im Konkubinat lebenden Priester die Messe hören, wird Exkommunikation angedroht. Wie sehr es sich bei geschlechtlichen Verfehlungen des Klerus um einen verbreiteten Zustand handelte, verraten zahlreiche Zeugnisse, von den anstandslos geschehenden Nennungen der Pfaffenkinder an bis zur Erwähnung einzelner besonders anstößiger Exzesse. Derselbe Hans Oflater, Chorherr und dann Prior zu St. Leonhard, den Henman von Erenfels einen Mörder schilt, liegt bei der Frau des Goltze, wird hier von diesem gefunden und „durch den Kopf“ geschlagen; des Peter Herz Weib, die der Dompropst verlassen hat, weil er einer Andern hold geworden, beschuldigt aus Rache eine ganze Reihe von Ehefrauen, daß sie mit Pfaffen zu tun hätten; Konrad Segwar und andre junge Herren steigen Nachts ins Klingental zu den Nonnen u. dgl. m.

Aller Unwille und alles Verlangen nach Besserung fand sich dann zusammengefaßt in den Predigten des Johannes Mulberg, die gewaltiger als Statuten und Strafsentenzen die Übel der Zeit züchtigten. Unter dem größten Zudrange des Volkes griff Mulberg in seinen Kanzelreden die allgemeinen Unsitten an, den Ehebruch, die Gotteslästerung, die Üppigkeit, die Spielsucht, und namentlich die Verwilderung von Klerikern, ihren Wucher, ihre Hurerei usw. In stürmischer Beredsamkeit forderte er eine Reformation; wie jene erregte, auf Alles horchende Zeit voll von Ahnungen und Verheißungen war, so entrollte auch er prophetisch das Bild einer den schwersten Nöten und Kämpfen sich entringenden schönen Zukunft.

Mitten in den allgemeinen Bewegungen wirtschaftlicher und politischer Art begann auch diese kirchliche Regeneration mit heftigen Erschütterungen.


Auf merkwürdige Weise wurde sie zunächst eingeleitet durch die Gründung der Karthause; den Versuchen der Besserung alter Institute gegenüber leistete sie, indem sie eine völlig neue Gemeinschaft schuf, an dieser den praktischen Nachweis der Schönheit und auch der Möglichkeit reinen Mönchtums.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 802. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/281&oldid=- (Version vom 4.8.2020)