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der maßlos gesteigerte Macht- und Geschäftssinn der kirchlichen Zentralleitung sowie die diesem Beispiel entsprechenden, durch die ganze Kirche hin wiederholten Zustände geltend.

Aber gerade die weite Spanne der kirchlichen Welt und die Menge ihrer Organe, dazu die Mannigfaltigkeit und Wandelbarkeit des menschlichen Wesens, endlich die Nötigung zwischen Institution und Person scheiden zu können, helfen zu einem Verstehen.

Unverkennbar leidet die Kirche an schweren Mängeln. In ihren guten Momenten und in ihren tüchtigen Vertretern verurteilt sie sich selbst; zum Verlangen eigener Besserung gehört ohne Weiteres der Wunsch, wieder allgemein ernst genommen zu werden, ihre Aufgabe gegenüber der Welt wieder kräftiger zu erfüllen.

Wir sehen, daß ihr dabei ein aus neuen innern Regungen und aus der Not der Zeit kommendes religiöses Bedürfnis Einzelner und ein gesteigertes Bewußtsein der Gemeinden begegnen, ohne daß wir sondern dürfen, inwieweit die offizielle Tätigkeit Ergebnis einer solchen allgemeinen Entwickelung ist oder selbst erst den Anstoß zu dieser gibt. Wir haben an mächtige Wechselwirkungen zu glauben, und jedenfalls wirken im Gesamten der kirchlichen Regenerationsunternehmung die verschiedenartigsten Tendenzen: neben dem stolzen Kurialismus waltet die Absicht, die Kirche wieder zu ihrem reinen ursprünglichen Dasein zurückzuführen; das Protestieren und Kämpfenmüssen wider die Ambitionen weltlicher Gewalt bringt der Kirche die in solchem Leiden liegende Kräftigung und Erziehung; angesichts des neuen Geistes und des Wunsches Vieler, nicht durch die Vermittelung einer offiziellen Heilanstalt, sondern frei zur Seligkeit zu gelangen, will die Kirche ihre Einrichtungen und Mittel und ihre Herrschaft über die Seelen besser als bisher zur Geltung bringen.

Bei einer solchen Verschiedenheit der Kräfte und der Ziele dürfen wir uns nicht darüber wundern, daß die ganze mit so mächtigem Impetus unternommene Regenerationsunternehmung schließlich zu so Wenigem führte. Aber die wahre Ursache dieses Mißlingens lag tiefer: der Kirche fehlte die Lauterkeit des Willens, die Energie, die Einheitlichkeit der Anschauung; für die Regeneration regte sich, sobald es auf Ausführen und Ernstmachen ankam, nur ein vereinzeltes, oft ganz persönlich bedingtes Handeln. Die äußern Schwierigkeiten waren jedenfalls zahlreich und groß; schädlicher aber war der innere Zwiespalt zwischen dem Prinzip der Kirche und ihrem tatsächlichen Verhalten.

Eine Häufung von Konflikten ergab sich, denen gegenüber die Kirche sich mit ihren zu Beginn erklärten Regenerationsabsichten nicht zu behaupten

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/301&oldid=- (Version vom 4.8.2020)