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bischöflichen Erlassen, den Statuten, den Predigten, den Reformtraktaten; aber auch der Satyre, den Lästerreden, dem weitverbreiteten Unwillen.

Was wir vom Domstift und vom Petersstift und aus den Pfarrkirchen über das Treiben der Kleriker vernommen haben, ist deutlich. Aber wünschen wir hierüber hinaus Genaueres zu erfahren, so lassen uns jene Äußerungen der Rundschreiben Traktate usw. im Stiche. Sie nennen nichts Einzelnes; aber sie sind auch nicht brauchbar für ein Gesamturteil. Unzweifelhaft ruhen sie auf Tatsachen, seien es Gepflogenheiten oder einzelne Vorkommnisse; auch mögen ihre allgemeinen Deklamationen für Hunderte von Fällen zutreffen. Ein Gesamtbild aber, dem gegenüber keine Einzelheiten mehr in Betracht kommen würden, vermitteln sie nicht. Der Gesetzgeber nennt auch das nur Mögliche, nicht allein das tatsächlich Geschehende; der Strafprediger, der Tagesschriftsteller, der Poet sehen nur und greifen nur auf, was ihrem Zwecke dient, und behandeln es diesem gemäß; die Chroniken reden nicht vom Normalen, sondern vom Auffallenden Anstößigen.

Eine vorhandene Stimmung, eine Absicht, eine Anschauung können diese Äußerungen uns nahe bringen; weiter reicht ihre Zeugniskraft nicht.

Wir haben uns daher nach reineren Quellen umzusehen, und in der Tat steht uns, namentlich zu den Klagen über die sexuelle Verwilderung des Basler Klerus, ein dokumentarisches Material bester Art zur Verfügung. Es sind dies die Rechnungen des bischöflichen Fiskalats über die Bußen, die auf dem Disziplinarwege Klerikern auferlegt worden sind. Diese Rechnungen, für den Zeitraum von 1429 bis 1520 fast lückenlos erhalten, betreffen hauptsächlich den Klerus der Landkirchen in der weiten Diözese, vom städtischen Klerus fast nur die Geistlichen zu St. Peter und zu St. Martin, indem der übrige Klerus, weil exemt (Klöster) oder dem Domdekan unterstehend (Domklerus) oder der konstanzischen Behörde unterstehend (Kleinbasler Klerus) außer Betracht fällt. Bei Erwähnung jener beiden Kirchen haben wir Vieles aus den Bußenrechnungen schon mitgeteilt. Wir vergleichen die Zahl der Bußfälligen mit der Größe des ganzen Klerikerbestandes jeder Kirche; aber wir denken auch an die Möglichkeit, daß nicht alle Fälle gebüßt wurden. In solcher Weise dürfen wir vom Zustande der beiden Kirchen auf den Zustand der übrigen Pfaffheit in der Stadt schließen; es ergibt sich dabei, daß allerdings ein Teil des Klerus das Zölibatsgebot aufs gewissenloseste und schamloseste übertrat, daß aber von einer allgemeinen Sittenlosigkeit dieses Klerus keine Rede sein kann; er hielt sich unverkennbar besser als der Klerus der Landkirchen. Jeder einzelne Fall war natürlich schon zu viel; aber wenn auch die Verfehlung des

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/327&oldid=- (Version vom 4.8.2020)