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zuweilen über alles Konventionelle hinweg als leidenschaftliche Hingebung, als Erfüllung einer enthusiastisch oder verzweifelt übernommenen Pflicht. Am äußerlich grandiosesten jedenfalls in jenen sowohl kirchlich wie städtisch organisierten Massenwallfahrten, die in Zeiten allgemeiner Not stattfinden. Das sind die großen Züge der Basler in den Pestjahren 1439 nach Totmoos und nach Einsiedeln, 1463 nach Schöntal.

Im Leben des Einzelnen kann jedoch einer offiziellen Veranstaltung gegenüber diejenige Wallfahrt mehr bedeuten, die er aus eigenem Entschluß und um seiner selbst willen ausführt. Gerne würden wir Äußerungen solcher Wallfahrer über ihre Reisestimmung vernehmen. Aber die Schilderungen der Jerusalempilger Rot 1440 und 1453 und Eptingen 1460 lassen nichts erkennen, und die Druckergesellen Frobens, die 1517 von einer Wallfahrt nach San Jago reden, sind sichtlich mehr durch den Übermut getrieben als durch Devotion. Die Fahrt nach Jerusalem erscheint überhaupt selten nur als fromme Leistung, dagegen meist als Fahrt nach der Ritterschaft; sie ist ein standesgemäßes Unternehmen vornehmer Herren. Neben den Rot und Eptingen machen daher Heinrich von Ramstein 1429, Bernhard von Rotberg 1433, Henman Offenburg 1437, Hans Münch von Landskron 1454 diese Reise, andern Geistes jedenfalls der Münsterprediger Wilhelm Textoris 1476. Eine Sache für sich sodann ist das Pilgern aller Welt nach Rom. Den reinen Eindruck wirklicher Pilgerfahrt in die Ferne macht nur die Reise zum „wahren Sankt Jacob“, nach San Jago di Compostela, auf der wir z. B. 1466/67 die Köche des Bischofs Johann, 1499 den Hans Kilchman, 1509 den Silvester Bruckschlegel, 1510 den Hans Lux Iselin mit seinem Schwager Balthasar Hiltprand, 1516 den Mathis Münch von Münchenstein betreffen.

Das Charakteristische der Wallfahrt ist oft, daß sie unternommen wird, um ein in schwerer Stunde getanes Gelübde zu lösen. Was für ein Schicksal, welche Verzweiflung und welche Art von Glauben erzählt uns nicht die Geschichte des Jacob Heid, Sohnes des Basler Armbrusters: weil er sich mit einer Adligen vermählt hat, wird er fünfzehn Jahre lang zu Landeck im Breisgau im Kerker gehalten; da liegend, den einen Fuß in Eisen geschlossen, gelobt er Wallfahrten nach Einsiedeln, zu St. Beat, zum heiligen Sakrament bei Willisau, nach San Jago, zu den heiligen Drei Königen in Köln, nach Aachen, zum heiligen Blut in Seeland, zum fernen St. Jost, „damit die erwürdige Mutter Gottes samt andern lieben Heiligen ihn aus dem harten Gefängnis befreie“; jetzt 1490 ist er durch göttliche Gnade frei geworden und tritt alle diese Reisen an. Bußübung und Sühne

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 862. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/341&oldid=- (Version vom 4.8.2020)