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Eine Anschauung, der in solcher Weise das Heilige und Ewige „an die Scholle gebunden“ erscheint, vermag überhaupt Körperliches und Seelisches merkwürdig zu mengen; es ist dieselbe Andacht, die an der Vorstellung von der Zartheit des Leichnams Christi, der Rosenfarbe seines Blutes sich erquickt. Ihr ganz unmittelbar dient die Kirche mit dem jetzt frisch belebten Reliquienwesen.

Vor Allem dadurch, daß solcher Besitz ihr selbst aufs neue zu einer Sache des Stolzes und des Wetteifers wird. St. Leonhard veranstaltet jährlich eine Ausstellung seines Reliquienreichtums und läßt 1504 deren Besuch durch Ablaß fördern. Auch bemüht sich die Kirche um neue Fassungen der Heiligtümer; daher Hans Bär dem Domkapitel kostbare Venediger Gläser für Monstranzen bringt, eine der Mägde der Sophie von Rotberg die Reliquienschreine der Karthause herrichtet, die Klingentaler Nonne Barbara Tagspergin 1520 ihre Silbergeschirre zur Einfassung von St. Euphrosynen Haupt bestimmt. Kostbare Behälter erhalten zu St. Theodor der Armknochen des Kirchenpatrons 1472, im Münster der Fuß eines unschuldigen Kindleins.

Wichtiger ist, wie diese Schätze an Heiltum jetzt gemehrt werden. Nicht auf die Weise des Berner Bäli. Sondern in der Form Rechtens, mit den besten Ausweisschriften, kommen Reliquien von allen Seiten nach Basel, ins Predigerkloster 1459 und 1464, in die Karthaus 1504, namentlich aber in die Zentralkirchen der beiden Städte. Zu St. Theodor ist auch hiebei Surgant der Tätige; 1474 erwirbt er Theodorsreliquien aus Bischofszell, 1491 bringt er Knochen der zehntausend Märtyrer aus dem römischen Campagnakloster Trefontane. Heiltum derselben Märtyrerschar schickt Papst Pius 1460 dem Münster; 1489 und 1494 erhält das Domkapitel Reliquien aus Sitten. Über das Interesse der einzelnen Kirche hinaus reicht die offizielle Reliquiendevotion. Schon um die Ottersburger Reliquien 1425 (je ein Haupt des hl. Claudius und eines der dreihundert Mauren) hatte sich der Rat beworben „zu Heil und Segen der ganzen Stadt Basel“; jetzt, da die Burgunderbeute geteilt wird, verlangt Basel auch von dem Heiltum, das ihm ein größerer Kriegsgewinn sein würde als Gold und Edelstein. So wird auch der berühmte Reliquienerwerb von 1474 zu einem Ereignis für die ganze Stadt. Im April d. J., gerade da die Kräfte sich zum Kampfe wider Herzog Karl sammeln, kommen in Solothurn vierunddreißig Gerippe zu Tage, die sofort als heilige Reste der thebäischen Märtyrer erklärt und zu St. Ursus beigesetzt werden; in schöner Weise erhebt sich Solothurn zu dem Entschlusse, dem oft angefeindeten Basel jetzt, in der

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/343&oldid=- (Version vom 4.8.2020)