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Stunde höchster Gefahr, einen Teil dieses kostbaren Fundes zu überlassen; am 2. Juni 1474 trifft der Transport hier ein und wird von der ganzen Einwohnerschaft empfangen.

Unverkennbar spricht bei vielen Reliquienunternehmungen dieser Zeit die antiquarische Liebhaberei mit. Solothurn grüßt in den Gebeinen der tapfern Thebäer seine Stadtheroen; die Sarkophage der Heiligen Germanus und Ursicinus, die 1477 und 1505 geöffnet werden, umschließen die Begründer des Glaubens in diesen Landen. Zu Szenen solcher Bedeutung kommt es in Basel selbst nicht. Dafür erlebt die Stadt auf ihrem heiligen Berge die Elevation der Gebeine von St. Chrischona. Schon Sebastian Brant feiert 1458 in prächtigem Hymnus die wundertätige Jungfrau; ihr Heiligtum auf der einsamen Höhe ist das Ziel der Wallfahrt vieler Pilger, die dort Hilfe suchen gegen ihre Leiden (Zahnweh Lähmungen usw.). Jetzt 1504 bringt Kardinal Peraudi die feierliche Bekräftigung dieses Kultus; am 17. Juni öffnet er, von einem großen Geleit umgeben und vor einer ungeheuren Volksmenge, den Sarg und erhöht die Gebeine der Heiligen in einem Schrein zur allgemeinen Verehrung. Das bei den Knochen liegende Haarnetz der Chrischona, ein Gewebe aus Seide und Goldfäden mit Perlen Juwelen und geschnittenen Steinen, wird durch Peraudi vom Berge weggenommen und unten in Basel dem Kloster Gnadental übergeben, wo es sofort an einer seit Langem gelähmten Nonne seine Heilkraft erweist.


Alle diese Gesinnung und Sehnsucht zusammenfassend und für ihre eigenen Zwecke, für ihre Macht und ihre Finanzen ausbeutend, ist die Kirche jetzt freigebiger als je mit Ablässen; zugleich erweitert sie das Ablaßsystem selbst durch neue Möglichkeiten und Formen der Indulgenz, in einer Weise, daß nur von Entartung des ursprünglichen Wesens der Straferleichterung gesprochen werden kann.

Im Raum weniger Jahrzehnte drängt sich nun auch für die Kirchen Basels und für die ihnen Untergebenen eine Fülle von Gnaden. Nur Vereinzeltes kann daraus genannt werden.

Vor Allem die große, auch auf ausdrückliches Verlangen des Rates geschehene Erweisung Pius II. an das Domstift: vollkommener Ablaß für Alle, die das Münster am Feste der Geburt Mariä und während der folgenden vierzehn Tage andächtig besuchen und an den Münsterbau Beiträge leisten. Der Papst erteilt diese Indulgenz im April 1460 und erneuert sie 1463, wieder auf drei Jahre. Vom eingehenden Geld ist der apostolischen Kammer ein Drittel für den Türkenkrieg abzutreten, und je ein Drittel

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 865. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/344&oldid=- (Version vom 4.8.2020)