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ein wunderkräftiges Bild der Madonna, das vom Volke viel besucht wird, und am Tage der Geburt Mariä 1465 zeigen sich in der Gerbergasse göttliche Gestalten vom Himmel herniedersteigend. Auch ein Heynlin zweifelt nicht an dem sichtbaren Mitleben der Himmlischen, besonders bei Begräbnissen kann man ihre Stimmen in vielstimmigem Chore hören, ihren Lichtglanz und ihren süßen Geruch wahrnehmen.

Den in solcher Weise disponierten Menschen bietet sich der mächtige Reichtum kirchlich-sakramentalen Lebens, der Kultus und die mannigfaltigste Gnadenmöglichkeit dar. Alle Formen dieses Wesens ist die Kirche auszugestalten bemüht; auch durch Mittel, die Sinne und Phantasie überwältigen, will sie die Gläubigen gewinnen, ihre Herrschaft über die Seelen befestigen.

Im Einzelnen mag dabei das asketische Ideal früherer Zeiten immer noch, da und dort, Geltung haben. Im Allgemeinen aber ist seine Reinheit getrübt und seine Kraft gebrochen, und wir nehmen deutlich wahr, wie die Hochschätzung der Askese jetzt zurücktritt vor der Bedeutung des Kultus.

Schon das eine Faktum ist bezeichnend, daß jetzt die „Butterbriefe“ Übung werden, jene zahlreichen Privilegien, mit denen die Kirche den Gläubigen die Möglichkeit gibt, sich durch eine Zahlung den Fettgenuß in der Fastenzeit zu erkaufen.

Namentlich aber werden wir aufmerksam auf die Stellung, die das Schenken und Stiften jetzt im Wesen der Devotion einnimmt.

Opferfreudigkeit und das sichere Vertrauen auf die Kraft guter Werke beherrschen das Verhältnis zur Kirche nicht mehr wie früher. Seit der Mitte des XIV. Jahrhunderts beginnt die Abnahme der frommen Vergabungen. Wie die Petersherren 1430 über das Erschöpftsein der Caritas klagten, so das Domkapitel 1453, und auch Bischof Caspar redet davon, wie erkaltet die Liebe der Gläubigen sei. In der Tat sehen wir jetzt nichts mehr von der imponierenden Masse und Regelmäßigkeit jener alten Donationen; der große durchschnittliche Zustand fehlt, und statt seiner haben wir nur noch einzelne Leistungen vor uns, die aber in ihrer Art ausgezeichnet sind durch eine individuelle ungewöhnliche Art der Devotion und in ihrer äußern Bezeugung zuweilen durch eine ergreifende Sprache der Leidenschaft und Inbrunst.

In der Reihe dieser neuen Donatoren steht zuvorderst Sophie von Rotberg. Durch den Tod Burchard Zibols verwitwet, noch jung, von strahlender Schönheit und reich, schließt sie gleichwohl keine zweite Ehe, geht aber auch nicht ins Kloster. In völlig freier, vornehmer Weise gibt diese denkwürdige Frau, Tochter des Bürgermeisters Hans Ludman und Schwester

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/347&oldid=- (Version vom 4.8.2020)