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und keine Kontrolle geübt wurde. Eine Woge der elendesten Menschheit wälzte sich über das Land, und in welch ungewöhnlichem Maße die am geeignetsten Orte, zwischen Gebirg und Ebene und am Treffpunkte der großen Straßen, gelegene Stadt Basel von diesem Volk ohne Ziel und Heimat aufgesucht wurde, wie dieses hier zu- und durchströmte und hier sich staute, zeigt uns in anschaulichster Form das Leben auf dem Kohlenberge. Ernst und überlegen stehen neben diesen Nachrichten der Erlaß über die Betrügereien und die Geheimsprache der Vaganten, später der liber vagatorum und die von Grimm und Spott erfüllten Äußerungen Brants; sie zusammen enthüllen uns das Bild einer häßlichen unheimlichen und unabtreibbaren Menge, in der neben den wirklich Bedürftigen, den „rechten Armen“, faule starke Landstreicher und Dirnen, sowie Betrüger aller Art sind; diese geben sich als Begarden, als fahrende Schüler, als Kollektanten, als Teufels- und Wetterbeschwörer, als Kaufleute, als Wallfahrer, als Büßer; sie simulieren Krankheit Verstümmelung Wunden usw.

Aber noch über dies Alles hinaus läßt das große vielgestaltige Mendikantenwesen Basels seine Spuren. Wir erinnern uns namentlich an die zahllosen Verfügungen, die im Bereiche der Kirche zur Linderung von Not geschaffen worden sind. Auch sonst hat die Armut ihr Recht und ihre Geltung. Die Köppeler und die Giler sind anerkannte Berufe; Bettler stehen sogar in den Steuerlisten, und im Nachlasse solcher Personen kann der inventierende Gerichtschreiber ganze Vorräte finden: eine Reihe Luxschuhe, siebzehn Strangen Garn, zwölf Ellen neues Tuch usw.

Dem Allem gegenüber hilft sich die Stadt lange nur mit dem Kohlenberg und läßt im Übrigen dem Unwesen seinen Lauf. Während ihre Knechte die Gassen von ansteckend Kranken und von Wahnsinnigen säubern, kommt es zur Ausschaffung der Bettler, der Blinden, der „unnützlichen Leute“ überhaupt höchstens bei Kriegsgefahr und Hungersnot.

Erst im XV. Jahrhundert beginnt der Rat kräftiger zuzugreifen. Er duldet nicht mehr, daß die Bettler während des Hochamtes im Münster herumliegen und gehen und die zelebrierenden Priester stören; sie sollen auf dem Platz oder im Kreuzgange warten, bis die heilige Handlung zu Ende ist. Auch auf die Almosenausteilungen gewöhnt er sich zu achten; er läßt Starke und Gesunde, die noch arbeiten können, vom Spendeplatz wegschicken. Und im Allgemeinen sollen nun auch die Gassen von den Bettlern gesäubert werden, jederzeit, nicht nur in den Momenten ungewöhnlicher Not.

Aber es bleibt großenteils bei der Absicht dieser Polizei. Die Ausführung versagt, und Basel hat nach wie vor allzeit bettelnde Arme bei sich.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 930. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/409&oldid=- (Version vom 4.8.2020)