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Wechsel des Wohnortes und der Tätigkeit, vom Reichtum, von der Debattierlust, von der Freiheit eines nicht einmal durch akademische Pflichten gebundenen Gelehrtenlebens war ihm das Eigenste geblieben: die Gelehrsamkeit und der unermüdliche Fleiß. Mit diesen Kräften lebte er auch in der Karthäuserzelle noch wie der Fürst der Basler Gelehrtenwelt; als er starb, wollte die Universität ihn zu Grabe tragen.


Dies ganze gelehrte und literarische Leben stand unter der Herrschaft zweier großer geistiger Gewalten: der Scholastik und des Humanismus.

Die Scholastik galt den Problemen von Autorität und Vernunft, von Kirchenlehre und Philosophie. Wie die Bibel, das Dogma, die kirchliche Tradition zu systematisieren und mit der weltlichen Wissenschaft in Zusammenhang zu setzen sei, wie die offenbarten Glaubenswahrheiten zugleich als notwendige Vernunfterkenntnisse nachgewiesen werden könnten, wurde durch die Scholastiker in stärkster Denkarbeit und mit einer virtuos gestalteten Dialektik versucht. Mochte dabei auch die freie Bewegung des Geistes allmählich in einzelne Formeln erstarren und zur monotonen Übung rein formalen Scharfsinnes werden; über Alles hinaus wirkte doch mächtig die Kraft und Begeisterung dieser Arbeit, die Fülle von Lehrmeinungen und Systemen. Nichts Abgeschlossenes, in sich Ruhendes sehen wir vor uns. Sondern eine durch stets neue Anstrengung, durch Diskussion und Kampf bewegte, vielgestaltige Wissenschaft, deren Richtungen alle der einen Kirche dienten und in ihrem Rahmen die gewaltigen Fragen von Glauben und Wissen, von Theologie Forschung und Menschenleben zu lösen sich mühten.

Aus diesem Reichtum tritt uns als Einzelheit die Kontroverse der „beiden Wege“ entgegen; sie schuf mit merkwürdiger Gewalt eine durch alle Studien, durch Disziplinen und Anstalten hindurchgehende Spaltung.

Der „Neue Weg“, der Nominalismus, nahm nur die Einzeldinge für das wirklich Bestehende; die Gattungen bezeichnete er als Begriffe und Abstraktionen des menschlichen Verstandes, als Namen, nomina. Dem gegenüber erkannte der „Alte Weg“, der Realismus, nur den allgemeinen Begriffen Realität zu, sah das wahrhaft Wirkliche nur in den Gattungen.

Der Gegensatz dieser beiden Anschauungen und ihrer Konsequenzen erregte im fünfzehnten Jahrhundert das Dasein aller Hochschulen; sein Verlauf in Basel ist von hohem Interesse. Auch in ihm wieder offenbart sich die Kraft der einzigartigen Lage dieser Stadt, ihr Beruf zum Austausch auch der geistigen Güter der Nationen. Der germanische Nominalismus

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 588. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/67&oldid=- (Version vom 4.8.2020)