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kam zu Beginn des Jahres 1492 unter Mitwirkung von Delegierten des Rates eine neue Ordnung in Vollzug: es soll fortan nur noch eine Artistenfakultät sein; die Fraktionsbezeichnungen des alten und des neuen Weges werden getilgt und aufgehoben, unter Freigebung an jeden Dozenten, nach seiner Überzeugung zu lehren.

Mustern wir die Vertretung der Systeme hüben und drüben, so stehen die uns bekanntesten Gelehrten, die Eingreifenden und Tätigen und irgendwie Ausgezeichneten fast sämtlich auf der Seite des Realismus: Geiler Brant Heynlin Surgant Philippi Helmut Gengenbach Siber Oeglin Amerbach Utenheim Wildeck Leopardi Weidlingen. Als Nominalisten präsentieren sich uns Reuchlin Lauber Hugonis Kridenwiß.

Aber dies Persönliche mahnt uns, den Gegensatz überhaupt tiefer zu fassen. Es handelt sich nicht mehr nur um den alten Universalienstreit, sondern eine Entwickelung hat jetzt den Nominalismus dahin geführt, daß er der Wissenschaft ihr eigenes Gebiet und ihr eigenes Recht gewahrt wissen will, daß Glauben und Wissen auseinandergehen. Die Glaubenswahrheiten werden als unbegreiflich erklärt. Es ist Empirie und Skepsis und eine autonome formalistische Logik, gegen deren rein subjektive Wertung der Begriffe der Realismus des alten Weges die Reaktion bildet.


Neben dieser Scholastik, deren Lebensprinzip, die Aufnahme des christlichen Glaubensinhaltes in ein wissenschaftliches Lehrsystem, solchergestalt vor dem entwickelten Nominalismus dahinzufallen drohte, erhob sich gerade jetzt auch in Basel die neue Macht des Humanismus.

Auch der Humanismus war ein Element universaler Geltung, Äußerung einer Weltanschauung großen Stils. Zunächst erscheint er uns als wissenschaftliches Denken und Arbeiten. Aber das, was ihn entstehen ließ, lag tiefer und wurzelte breiter. Er war im Gebiete der Gelehrsamkeit und der nun zur Lebensart gehörenden höhern Bildung ein Werk des sich regenden modernen Geistes.

Wir werden uns auch hier jener gewaltigen Entwickelung bewußt, die damals das ganze Dasein, die Gesellschaft, das Wirtschaftsleben, die Kirche ergriff. Sie brachte auch die gelehrte Welt in Aufruhr. Auch in dieser wiederholte sich, was dort Streben nach reinen Anfangszuständen, was gewaltsames Geltenwollen des Einzelnen, Hinausrücken der Grenzen, Vervielfältigung aller Gaben und Mittel war. Über das Formulierte und fertig Gearbeitete der Lehre hinweg drängte hier die Jugend zu neuen Erlebnissen, zu neuem Erkennen und Wissen. Der Schulsysteme und des

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Zweiten Bandes zweiter Teil. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1916, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_2,2.pdf/69&oldid=- (Version vom 4.8.2020)