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nun der Nachdruck zu legen. Die eigentliche gebildete Intelligenz mußte für diese Ansicht gewonnen werden. Dies ward durch einen Wiener Juristen[WS 1] erreicht, welcher großer Musikfreund und Kenner der Hegelschen Dialektik war, außerdem aber durch seine, wenn auch zierlich verdeckte jüdische Abkunft[WS 2] besonders zugänglich befunden wurde. Auch Er war einer von Denjenigen, welche sich anfänglich mit fast enthusiastischer Neigung für mich erklärt hatten: seine Umtaufe geschah so plötzlich und gewaltsam, daß ich darüber völlig erschrocken war. Dieser schrieb nun ein Libell[WS 3] über das „Musikalisch-Schöne”, in welchem er für den allgemeinen Zweck des Musikjudenthums mit außerordentlichem Geschick verfuhr. Zunächst täuschte er durch eine höchst zierliche dialektische Form, welche ganz nach feinstem philosophischen Geiste aussah, die gesammte Wiener Intelligenz bis zu der Annahme, es sei denn wirklich einmal ein Prophet aus ihr hervorgegangen: und dieses war die beabsichtigte Hauptwirkung. Denn was er mit dieser eleganten dialektischen Färbung überzog, waren die trivialsten Gemeinplätze, wie sie mit einem Anschein von Bedeutsamkeit nur auf einem Gebiete sich ausbreiten können, auf welchem, wie auf dem der Musik, von jeher eben nur erst noch gefaselt worden war, sobald darüber ästhetisirt wurde. Es war gewiß kein Kunststück, auch für die Musik das „Schöne” als Hauptpostulat hinzustellen: brachte der Autor dies in der Art zu Stande, daß Alles über diese geniale Weisheit erstaunte, so gelang nun aber auch das allerdings Schwerere, nämlich die moderne jüdische Musik als die eigentliche „schöne” Musik aufzustellen; und zur stillschweigenden Anerkennung dieses Dogmas gelangte er ganz unvermerklich, indem er der Reihe Haydns, Mozarts und Beethovens so recht wie natürlich, Mendelssohn anschloß, ja – wenn man seine Theorie vom „Schönen” recht versteht, diesem Letzteren eigentlich die wohlthuende Bedeutung zusprach, das durch seinen

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Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik (1869). J.J. Weber, Leipzig 1869, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wagner_Das_Judenthum_in_der_Musik_1869.pdf/35&oldid=- (Version vom 1.8.2018)

  1. gemeint ist Eduard Hanslick. Er antwortete auf die folgenden Angriffe und die Schrift insgesamt in seiner Rezension Richard Wagner’s „Judenthum in der Musik”.
  2. Carl Friedrich Glasenapp (1847-1915) schrieb in enger Abhängigkeit von Wagner die sechsbändige Biographie Das Leben Richard Wagners, Leipzig 1876-1911. In Band 2, S. 207 heißt es: „Merkwürdigerweise hat es übrigens Hanslick bis zu seinem Lebensende für vorteilhaft gehalten, seine eigene jüdische Herkunft konsequent und nachdrücklich zu verleugnen.“ In einer Anmerkung (S. 530) führt er aus: „Wagner hatte, im Zusammenhang seiner Schrift über das ‚Judentum in der Musik’ von der ‚zierlich verdeckten jüdischen Abkunft’ des Verfassers der Broschüre über das ‚Musikalisch-Schöne’ gesprochen, und Hanslick diese Behauptung – wenn auch wohlweislich erst nach des Meisters Tode! – als eine ‚unglaublich kindische’ bezeichnet. ‚Mein Vater und seine sämtlichen Vorfahren, soweit man sie verfolgen kann, waren erzkatholische Bauernsöhne’ (Hanslick, Mein Leben, Band II, 1894, S. 10). ‚Nach solcher energischen Abweisung’, bemerkt dazu Dr. R. Batka, ‚glaubte man vielfach selbst in Wagnerianerkreisen über diesen Fall als einen, dem Meister in der Hitze des Kampfes passierten, Irrtum hinwegschweigen zu müssen. Denn wer hätte vermutet, daß Herr Hanslick väterlicherseits allerdings ein Nachkomme katholischer Bauern, mütterlicherseits aber ein Enkel des Prager Bankiers Salomon Abraham Kisch gewesen ist, dessen schöne Tochter Lotte erst zum Christentum übertrat, als sie 1823 den Bibliothekbeamten Joseph Hanslick heiratete! – Ihr Sohn Eduard hat also, statt als freisinniger Mann seinen großen Gegner mit der Erklärung abzuwehren, daß die Richtigkeit oder Irrigkeit einer ästhetischen Ansicht von der Abstammung dessen, der sie hegt, ganz unabhängig sei, vielmehr die Religion und Abkunft der eigenen Mutter glatt verleugnet und die dahinführenden Spuren auch in seinen Lebenserinnerungen sorgsam verwischt!‘ (Musikalisches Wochenblatt 1908, S. 370.).“ Hier hat sich bereits der von Wagner und Gobineau etablierte Begriff des Jüdischen als Rassenmerkmal durchgesetzt. Dass für Hanslick das Jüdische eine Frage der Religion sein könnte (und seine Mutter nach 1823 eben Katholikin war), wird nicht berücksichtigt.
  3. Libell (aus dem lateinischen libellus = Büchlein) ist eine Prozessakte, insbesondere eine Klageschrift, aber auch – wie hier – eine Streit- oder Schmähschrift.