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stärkere männliche Genies gegeben als weibliche. Aber sie gingen auch anders gerüstet, von anderen Voraussetzungen und Anforderungen der Mitwelt geleitet, in den Kampf! Was beim Manne als seine selbstverständliche Aufgabe gefordert wurde, daß er sich Stellung und Bedeutung in der Welt erringe, tauchte bei der weiblichen Erziehung vergangener Jahrhunderte nicht einmal als Erwägung auf, und weibliche Ausnahmswesen mußten einen entsetzlichen, erbitterten Kampf gegen Familie, Herkommen, Sitte, Gesellschaft – ganze Berge wegverrammelnder Traditionen – bestehen, um nur überhaupt auf den Platz zu kommen, auf dem sie beginnen konnten, um nur überhaupt jenen Boden unter die Füße zu bekommen, der für den Mann, als ihm gebührend, selbstverständlich da war. Daß nur wenige diesen gewaltsamen Sprung aus den tausend Fesseln, mit denen man ihr Geschlecht umschloß, vollführen konnten – nur die Überragendsten – daß auch diese Wenigen nicht die Höhe der größten Männer erreichten, erklärt sich ersichtlich genug daraus, daß sie eben schon mit erschöpften Kräften am Kampfplatz anlangten, daß eine Unmenge Energie für die Vorarbeiten verbraucht werden mußte. Und daß das Anwachsen des weiblichen Genies auf jenen Gebieten, die ihm wahrhaft freigemacht wurden, mit jenem der Männer gleichen Schritt hält, beweisen die großen weiblichen Dichternamen, welche in den letzten kaum fünfzig Jahren, da dies Gebiet für die Frauen durch Zulaß zu Bildungstätten gangbarer gemacht wurde, auftauchten, beweisen die Namen der genialen Schauspielerinnen, welche von denen der männlichen Kollegen nicht überstrahlt werden, obzwar man auch für diesen Beruf die Frau für unbefähigt hielt, Weiberrollen von Männern spielen ließ und sie ihn erst seit kaum drei Jahrhunderten ausübt, in welcher Zeit sie seine höchsten bisher erreichten Gipfel, vollwertig und gleichwertig mit dem Manne, erklommen hat.

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Grete Meisel-Heß: Weiberhaß und Weiberverachtung. Die Wage, Wien 1904, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Weiberhass_und_Weiberverachtung.djvu/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)