Seite:Werfel Wir sind 1913.pdf/92

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.

25
Nie war ich ein Kind, zermalmt in den Fabriken

Dieser elenden Zeit, mit Ärmchen, ganz benarbt!
Nie hab’ ich im Asyl gedarbt,
Weiß nicht, wie sich Mütter die Augen aussticken,
Weiß nicht die Qual, wenn Kaiserinnen nicken,

30
Ihr alle, die ihr starbt, ich weiß nicht, wie ihr starbt!


Kenn ich die Lampe denn, kenn ich den Hut,
Die Luft, den Mond, den Herbst und alles Rauschen
Der Winde, die sich überbauschen,
Ein Antlitz böse oder gut?

35
Kenn ich der Mädchen stolz und falsches Plauschen?

Und weiß ich, ach, wie weh ein Schmeicheln tut?

Du aber, Herr, stiegst nieder, auch zu mir.
Und hast die tausendfache Qual gefunden,
Du hast in jedem Weib entbunden

40
Und starbst im Kot, in jedem Stück Papier.

In jedem Zirkus-Seehund wurdest du geschunden
Und Hure warst du manchem Kavalier!

O Herr, zerreiße mich!
Was soll dies dumpfe, klägliche Genießen?

45
Ich bin nicht wert, daß deine Wunden fließen.

Begnade mich mit Martern, Stich um Stich!
Ich will den Tod der ganzen Welt einschließen.
O Herr, zerreiße mich!

Empfohlene Zitierweise:
Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1913, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Werfel_Wir_sind_1913.pdf/92&oldid=- (Version vom 1.8.2018)