unsere gegenwärtige Kultur da ist, und nicht für irgendeine vergangene. Die Bedürfnisse und Nöte unseres Volkes sind ausschließlich und ganz allein maßgebend für die Gestaltung des Inhaltes und der Form des Unterrichtes, und in dem Maße, wie sich diese Bedürfnisse wandeln, hat die Schule aufmerksamen Auges ihnen zu folgen. Welch ein leeres und unsinniges Unterfangen ist es doch, die unwiderstehliche Gewalt der heutigen Kultur durch ein schwächliches Zurückziehen auf Längstvergangenes bremsen, ja nur beeinflussen zu wollen! Wer von sich selbst hoch genug denkt, um sich die Aufgabe zu stellen, sein Volk und seine Zeit zu veredeln, der kann dies nur tun, indem er die großen Gewalten der Zeit mit tieferem und tieferem Inhalt versieht, nicht indem er vor ihnen die Augen verschließt und sich in die Traumwelt einer mehr phantasierten als geschichtlich erwiesenen längstvergangenen Zeit zurückzieht. Quietisten und Pessimisten sind das Ergebnis solcher naturwidriger Beeinflussung, Quietisten und Pessimisten werden von unseren höheren Schulen hervorgebracht. Wir aber wollen aus unseren Kindern kraftvolle Menschen machen, die frei und kühn der Zeit ins Auge schauen und sich fähig fühlen, in ihr und mit ihr zu ringen!
Damit haben wir nun einen Maßstab gewonnen, um die vorhandenen Unterrichtseinrichtungen zu prüfen, sowie einen Wegweiser, nach welcher Richtung sie zu ändern und zu verbessern sind. Wir untersuchen jede Einrichtung darauf, wieweit sie den Schüler dazu befähigt, seinem künftigen Kulturkreise ein wirksames Mitglied zu werden. Dies ist gleichzeitig das sicherste Mittel, ihn glücklich zu machen,
Wilhelm Ostwald: Wider das Schulelend. Akademische Verlagsgesellschaft m.b.H., Leipzig 1909, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wider_das_Schulelend.pdf/33&oldid=- (Version vom 1.8.2018)