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 Das Wort: Joh. 20. „Welchen ihr die Sünden vergebet, denen sind sie vergeben und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten,“ hat nun Luther in etwas allgemeinerem Sinn verstanden, als wir es zu verstehen pflegen. Er verstand darunter überhaupt den Auftrag der Predigt des Evangeliums und hebt auch besonders hervor, daß nicht nur auf amtlichem Wege, sondern auch durch brüderliche Zusprache Vergebung der Sünden und eine Lossprechung von Sünden möglich ist. Er verstand es also nicht im Zusammenhang mit dem Amt des neuen Testaments. Wir werden aber es wohl sagen dürfen, daß Luther hier sich in zu starkem Gegensatz gegen die römische Auffassung vom Amt befand. Es war gewiß seine und der Reformation Aufgabe die Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Christen wieder aufs mächtigste zu betonen; denn die katholische Kirche hatte aus dem geistlichen Amt einen besonderen von der Gemeinde streng geschiedenen, über sie hocherhabenen Stand gemacht. Im alttestamentlichen Sinn war wohl der Priester als Stellvertreter für die Gemeinde aufgestellt, wie der Name andeutet: Priester so viel wie der Stehende, d. h. der welcher vor Gott steht. So waren die Priester solch ein sonderlicher, die Gemeinde vor Gott vertretender Stand. Aber im neuen Bunde ist es das Große, daß der Herr uns alle zu Königen und Priestern gemacht hat vor Gott, unserm Vater, wie die Offenbarung sagt. Was weissagend dem Volk vor der Gesetzgebung gesagt worden war: „Ihr sollt mir ein priesterlich Königreich“, es heißt eigentlich „ein Reich von Priestern“ sein, das ist im neuen Testament zur Wahrheit geworden. Diese große Wahrheit vom allgemeinen Priesterrecht aller Gläubigen hatte die Reformation wieder hervorgeholt mit einer so starken Betonung wie nie zuvor. Im Zusammenhang damit verstehen wir, daß Luther etwas zu stark diese Seite betont hat. Wir werden in Johannes 20 gewiß mit Recht die Einsetzung des neutestamentlichen Amtes finden dürfen: „Wie Mich Mein Vater sendet, so sende Ich euch.“ Nur fassen wir das neutestamentliche Amt nie als einen besonderen Priesterstand über der Gemeinde auf, es ist lediglich der Dienst zur Verwaltung der Gnadenmittel, der Dienst zur öffentlichen Predigt des Worts und zur Spendung der heiligen Sakramente. Und so werden wir auch in dem Wort: „Welchen ihr die Sünden vergebet, denen sind sie vergeben“ eine besondere Vollmacht sehen dürfen, die dem Amt des neuen Testaments mit übertragen ist und angehört. Das Amt der Schlüssel, die Vollmacht, Sünden zu vergeben und zu behalten an Christi Statt, ist ein Teil des neutestamentlichen Predigtamts. Wir leugnen nicht, daß jeder Christ vermöge des allgemeinen Priestertums unter besonderen Umständen berechtigt sein könne, einem Mitbruder das Wort der Sündenvergebung zu sprechen, aber als kirchliche Einrichtung, die der Herr als Gabe Seiner Gemeinde geben wollte, ist diese Aufgabe dem Amt des neuen Testaments anvertraut. Es ist ja auch mit der Taufe, die im Notfall von andern erteilt werden kann und ebenso mit dem Sakrament des