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Punkt innerlichster Art hingewiesen, an dem der Unterschied aufgezeigt werden kann, – das Verhältnis des Unsichtbaren zum Sichtbaren, des Göttlichen zum Menschlichen. Auch an Andern Punkten kann der Unterschied wohl nachgewiesen werden, so auch an dem Verhältnis der Innerlichkeit und der Äußerlichkeit. Die reformierte Kirche pflegt vielfach eine falsche Innerlichkeit, indem sie die Äußerlichkeit mißachtet. Denken wir nur an ihre völlige Gleichgültigkeit gegenüber jeglichem Kirchenschmuck, gegen die Bilder oder an die Ablehnung einer bestimmten Form und Ordnung der Gottesdienste. Fast absichtlich trägt die reformierte Kirche die Nichtachtung des Kirchlichen zur Schau. Es ist nicht allzulange her, daß in der Schweiz im Gottesdienst die Männer die Hüte auf dem Haupt behielten, um zu zeigen, daß sie keine Heiligkeit des Ortes anerkennen, wie denn die Kirchen dort nur den Eindruck von Stuben machen. Oder denken wir an die völlige Mißachtung der äußerlich verordneten Gnadenmittel. Wie z. B. die doch aus reformierter Anschauung hervorgehenden Quäcker zum Beginn des Gottesdienstes abwarten, ob über einen unter ihnen der Geist käme und wenn dies nicht der Fall ist, wieder auseinander gehen.

 Die katholische Kirche dagegen zeigt eine Überschätzung der Äußerlichkeit auf. Das braucht kaum erst nachgewiesen zu werden, erklärt sie doch prinzipiell, also grundsätzlich, die Kirche für ein äußerlich sichtbares Reich, ist doch ihr Gottesdienst auf äußerlich sinnliche Pracht angelegt.

 Die lutherische Kirche vereinigt die rechte Innerlichkeit und die Wertschätzung der Äußerlichkeit. Die Innerlichkeit unserer Kirche trat uns heute gegenüber in der Abendmahlslehre und dann auch in der schönen Lehre unserer Kirche von der unio mystica, der geheimnisvollen Vereinigung Christi mit den Seelen der Gläubigen. Das ist rechte Mystik. Mystik nannte man im Mittelalter die neben der Scholastik einhergehende Richtung. Die Scholastik hatte den Grundsatz, daß Wahrheitserkenntnis auf dem Wege begrifflicher Entwickelung gewonnen werde, die Mystik dagegen will dieselbe auf dem Wege der Erfahrung erlangen. Wenn diese Erfahrung, dieses Erleben nun nicht von Gottes Wort losgelöst wird, ist es Mystik rechter Art. Falsche Mystik ist nur die, die bei diesen Erfahrungen und Erlebnissen vom Wort und dessen alleiniger Wirksamkeit absieht und eigenen Gedanken folgt. Die lutherische Kirche pflegt die rechte Mystik. Das geht aus ihren Liedern und Gebeten aufs deutlichste hervor, besonders aus manchen der Abendmahlslieder, wie aus dem des Johann Heermann (Nr. 193) „Herr Jesu Du getreuer Hirte,“ oder aus dem des Johann Rist (Nr. 203) „Wie wohl hast du gelabet“. Das sind Erweise rechter nüchterner und inniger lutherischer Mystik. Es könnte noch ein Lied genannt werden, das leider in unserem Gesangbuch fehlt: „O Lebensbrünnlein tief und groß“ von Johann Mühlmann, ein Lied von zarter lauterer Innigkeit. So pflegt unsre Kirche die Innigkeit aber nicht minder auch die Äußerlichkeit; denn das innere