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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Freude zur Ewigkeit, wo mit dem Schauen vollkommene Freude ohne Maße dich umfangen wird. Bleib im Glauben, so wird selbst die Stunde der Ausgeburt zur Ewigkeit mit allen ihren Schmerzen mehr nicht vermögen, als die sehnliche Freude dorthin spannen, wo wir Ihn sehen und unser Herz sich freut und keine Frage mehr ist, sondern ein ewiges Antworten auf dein hiesiges Fragen und Sehnen, – HErr, stärke uns den Glauben!


Am Sonntage Cantate.
Joh. 16, 5–15.

 VOn der Trauer über JEsu Hingang, die Vers 6. berührt, ist bei uns keine Spur mehr. Ach, wenn nur irgend ein Gefühl des Herzens bei der Erinnerung an Ihn spräche! Aber es ist, wie wenn Er mit uns nicht verwandt wäre, wie wenn Er für uns nicht gestorben, nicht auferstanden wäre, nicht lebete! Jedes Interesse dieses Lebens erregt uns mehr, als Sein Evangelium! Doch halt, was klagen wir! Ist nicht JEsus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit? Ist Sein Wort nicht mehr Sein Wort? Dann wohl wäre es nicht mehr das allmächtige Wort, dann wäre nicht mehr Sein Geist im Worte wirksam. Aber so lange Er bleibt, was Er ist, ist auch Sein Wort allmächtig – und es ist an keinem Herzen völlig zu verzweifeln, so lange Sein Wort sich nach ihm ausstreckt.

 Der Sohn ist hingegangen, zurückgekehrt zum Vater, noch nicht wiedergekommen, uns heimzuholen. So ist der Tröster, der heilige Geist, noch bei uns. So lange, bis der Sohn wiederkommt zur Aernte, säet der Geist Seinen Samen, Sein heiliges Wort. Was sorgst du für Gottes Reich, wie die blinden Steuerleute, die nicht sehen, daß nicht sie, sondern ein anderer die Arche durch alle Stürme führt? Es wird nicht untergehen, so lange Seines Geistes Wort zu hören ist. Es kann nicht mangeln am Samen der Gerechten, am fruchtbaren Gewächs geistlichen Lebens, so lang das Wort des Geistes Hülle und Mittel, so lange der Geist und das Wort zusammen mit Waßer und Blut das Zeugnis ablegen, welches allen Lärm der Welt überstimmt.

 Du klagst, daß keine Buße auf Erden sei – und doch lehrt, ja überzeugt und straft der Geist im Worte die Welt über die Sünde aller Sünden, nicht an den Tilger aller Sünden zu glauben. Wird Er denn zeugen, ohne daß ein Ohr Sein Hephatha höre? Weiß Er etwa nicht, der Allwißende, wo nichts mehr zu hoffen? Meinst du, Er werde fruchtlos predigen laßen von der Sünde? So lang Er zeugt, wirkt Er! So lang Er einkehrt, singt man Hosianna! In des Vaters Reich wird keine Buße mehr gewirkt, aber im Reiche des Sohnes und Geistes bleibt wahr, daß allezeit eine bußfertige Schaar auf Erden sein muß, eine heilige, über ihren Mangel an Gerechtigkeit weinende Kirche[.]


Am Sonntage Rogate.
Joh. 16, 23–30.

 ALles betet. Die Raben schreien nach Futter, die jungen Löwen, die auf Raub ausgehen, brüllen zu Gott um Sättigung. Der HErr aber vernimmt ihr Schreien und versagt ihnen nicht, was sie bedürfen. Wie viel weniger wird Er dem Menschen, der beßer ist, als viele Thiere, Sein Ohr verschließen wenn derselbe, von Angst und Noth bedrängt, Hülfe bei dem großen Gotte sucht! Der HErr erbarmt Sich aller Seiner Werke. Aber es ist doch ein großer Unterschied zwischen Beten und Beten. Unser Evangelium redet von einer neuen Art des Gebetes, welche auch den Jüngern in den drei Jahren ihrer Lehrzeit bei JEsu unbekannt geblieben war. „Bisher habt ihr nichts gebeten in Meinem Namen“, spricht der HErr und offenbart damit Seinen Jüngern die neue Art des Gebets, „das Gebet in Seinem Namen.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/363&oldid=- (Version vom 1.8.2018)