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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

voraussah und fand. Die Berufenen, welche Folge leisten und von einer Klarheit in die andere, aus Glauben in Glauben, aus Liebe in Liebe gehen, die da bleiben in Seinem Namen und Bekenntnis bis ans Ende – das sind die Auserwählten, und ihrer ist, wenn auch die breite Straße voller ist, doch so gar wenig nicht, sondern sie füllen Gottes Freudenhimmel. – – Nöthige mich, mein Gott, durch Dein heiliges Wort! Deine süße Nöthigung überwinde mein herbes, bitter böses Herz! Ach, ich fürchte, ich fürchte mich! Wenn die Geladenen, die nicht kamen, Dein Abendmahl nicht schmeckten, nicht „schmecken werden“ (V. 24.), wie viel weniger werden es die schmecken, die Deine Nöthigung zurückweisen! Erbarme Dich, laß mich genöthigt werden! Ueberwinde mich, Du treuer, frommer Gott, mit Deinem Hirtenstabe!


Am dritten Sonntage nach Trinitatis.
Luc. 15, 1–10.

 ES ist ein schreiender Widerspruch des Menschen gegen seinen Gott, deß Bild er auch in der Gesinnung gegen arme Verlorene sein sollte, daß er diesen die Hülfe nicht gönnt. So kommen hier die Pharisäer und Schriftgelehrten und murren, da sie Zöllner und Sünder um einen Mann versammelt sehen, der auf den Heilandsnamen mit Wort und Werken Anspruch machte. Und aus der Gegenwart Beispiele ähnlicher Art anzuführen sollte wahrlich nicht schwer werden, da es so viele gibt. Gib nur Acht, so wie ein armer Sündenknecht sich zu Dem naht, der ihn von seiner Sklaverei erretten kann, so fängt die Welt und ihre Kinder gerade so zu reden an, als wäre durch die Möglichkeit der Rettung für den armen Sünder schon die Gewisheit gegeben, daß die ehrbare Welt verloren sei. Wird der arme Sünder wirklich von der oder jener Sünde frei, gibt sich unwidersprechlich eine Beßerung kund; so wird auf der Stelle die pharisäische Horde anfangen, die Wahrhaftigkeit der Beßerung zu bezweifeln und mit schadenfrohem Munde weißagen, daß sie keinen Stand halten werde. Und ist es wirklich so gekommen, hat ihr Weißagen auf den erwachenden, sich aufraffenden Sünder wie ein böser Zauberspruch gewirkt, – haben sie durch Absprechung alles Glücks Verzweiflung am Gelingen der begonnenen Beßerung und Rückschritte zum Bösen bewirkt, ist der Mensch zurückgefallen; so wird aus dem Rückfall wieder bewiesen, daß es dem Menschen kein Ernst war. Da haben sie alles vorausgewußt, vorhergesagt, und wer ist nun weiser und beßer, als sie? Als ob nicht die ersten Regungen und der Anfang von Gott hätte sein können; – als ob es bei dem Gnadenwerk in einzelnen Seelen gälte, zu sagen: „Ists Gotteswerk, wirds wohl bestahn; ists Menschenwerk, wirds untergahn!“ – als ob man nicht wirklich vorhandene Gnadenanfänge wieder verlieren könnte; – als ob nicht der Rückschritt eines beginnenden Christen von andern, von außen her bewirkt werden könnte! Kann man denn so blind, so boshaft sein, durch Weißagen, Mistrauen und Entgegenwirken dem Satan in die Hand zu arbeiten und hinterher sich zu geberden, als habe man Gott einen Dienst daran gethan!

 Wahrlich, das ist recht das Gegentheil vom Benehmen der himmlischen Geister! Sie bilden sich nicht ein, wie Pharisäer, vollkommen zu sein, als arme, grobe Sünder, sie sind wirklich vollkommener, sie sind vollkommen! Und doch freuen sie sich jedes Hoffnungssternes, der einem armen Verlorenen aufgeht! Ja eben weil sie vollkommen und wahrhaft heilig sind, sind sie barmherzig und freuen sich, daß die Gnade größer ist, als die Sünde. Wer nicht barmherzig ist, wer nicht alles hoffet, alles glauben kann zu seiner Freude, der hat keine Liebe, der ist dem HErrn und Heiland nicht verwandt, der hat nicht Seinen Geist! Freund, wenn du auf dem Wege zum HErrn bist, oder wenn du dem HErrn, der dich sucht, Lust hast aufzuthun, und es krächzen die Unglückspropheten der Pharisäer und Schriftgelehrten um dich her, so laß dich nicht aufhalten: sie prophezeien Lügen! Und wenn Lichtgestalten, ehrwürdig scheinende Engel dich aufhalten wollen, trau ihnen nicht, es sind teufelische Stimmen. Wahr ist und bleibt das Wort, ein Lob- und Preisgesang, nicht ein Tadel ist es – das Wort: „Dieser nimmt die Sünder an und ißet mit ihnen!

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/564&oldid=- (Version vom 1.8.2018)