Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/144

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Dieß Alles ist indes nur Vorwort auf das, was ich eigentlich sagen und behaupten will. Denn die Frage war ja nicht, ob es ein Satansreich und Anfechtung desselben gebe, sondern was das cananäische Weib vom Satan inne geworden sei. Das kann ich aber ohne allen Widerspruch aus meinem Texte beantworten: Das cananäische Weib hatte eine Tochter, die hatte sie von dem Schöpfer, der uns und alle Creaturen erschaffen hat, und − diese Tochter ward vom Teufel übel geplagt. Die Plagen ihrer Tochter hatte das cananäische Weib von dem Satan. Ja, man kann geradezu sagen: ihre Plagen hatte das cananäische Weib vom Satan − denn was die Tochter litt, das litt auch sie, weil ja die Liebe eigene Zustände mit fremden und fremde gegen eigene austauscht.


 Indes hier auf Erden ist die Natur von der Gnade nie so ganz verlaßen, daß sie in des Teufels Einflüßen ohne alle Einsprache des Geistes Gottes bliebe. Die Kinder des Geistes unter den Menschenkindern sind zwar oft weniger klug, geschäftig und wirksam, als die Kinder der Finsternis. Aber der Geist Gottes selbst wird von dem Geiste der Hölle nicht an Weisheit, Emsigkeit und Wirksamkeit übertroffen. Der Geist des HErrn, der die Menschen in allen Landen zu Christus zu versammeln sucht, ist Gott und vollkommen, wie sollte Gott von dem Satan irgend übertroffen werden? Der Geist des HErrn sucht die den Anfechtungen der Hölle ausgesetzten Sterblichen, er naht ihnen mit tausend und aber tausend Lockungen, er will sie in tausend und aber tausend Weisen zum Frieden und zur Freiheit der Kinder Gottes führen − und alles, was Natur ist, das sucht er zu reinigen und zu heiligen. So gar von den Anfechtungen des Satans umgeben, so völlig eingefleischter Natur ist drum hier keiner, daß er nicht zu einem Gotteskinde umgewandelt werden könnte, daß nicht der Geist des HErrn ihm diese Umwandlung möglich machte und nahe legte. Man sehe nur in unsern Text und überlege die aus ihm genommene Antwort auf die Frage: was hat das cananäische Weib von dem Heiligen Geiste?

 Sie hat das Gerücht vom HErrn vernommen, daß ER sei Davids Sohn, ein Gerücht voll Wahrheit, − ein Gotteswort in Gestalt eines Gerüchts. Es wirkte auch wie Gotteswort auf die Seele der Cananäerin. Ihre Seele ward dadurch erleuchtet. Sie erkannte den HErrn als den verheißenen Davidssohn, als Den, auf welchen die Völker harrten. Ihre Erkenntnis ist die erste Gabe des heiligen Geistes.

 Diese Erkenntnis aber war in ihr nicht todt, nicht träg, noch faul, sondern sie that und wirkte, was sie sollte; sie führte das Weib weiter und wurde in ihr eine Quelle ferneren Lichtes. Denn sie erkannte ja in Christo nicht bloß einen verheißenen Davidssohn, sondern ihr Beten und Handeln beweist, daß sie im Sohne Davids einen Mann voll göttlichen Erbarmens sieht. Sie suchte bei Ihm nicht Anerkennung und Lohn ihrer Mutterliebe, sie wußte gar nicht, wie schön von ihr diese Liebe strahlte, sie war voll des Gedankens an ihre Noth und bat um nichts als um Erbarmen und Mitleid. Da haben wir einen Beweis, wie ganz vom Geiste des HErrn die Erkenntnis des Weibes war. Sie kommt von der Erkenntnis Seiner Würde zur Erkenntnis Seiner erbarmenden Menschenliebe, von einer Erkenntnis zur andern, von Licht in Licht − und das ist des Geistes Art. Seine Loosung heißt vorwärts.

 Jedoch wenn das cananäische Weib bloß um Erbarmung gebeten hätte, so hätte ihre Seele noch immer möglicher Weise auf verkehrter Bahn sein können, hätte nicht nothwendig auf der ebenen Bahn des heiligen Geistes sein müßen; denn nicht die Erbarmung Gottes, sondern die Gnade ist die volle Erkenntnis Seines Herzens gegen uns. Wer um Erbarmung ruft, der begehrt nur Abhilfe für seinen Jammer, der macht den Jammer zum Grunde der Hilfe. Der Jammer aber allein ist nicht Grundes genug für die Hilfe; er kann ja selbst Strafe sein, die Strafe aber kann nicht aufhören, bevor nicht genuggethan ist. Dagegen die Gnade ist die Liebe Gottes zu den Sündern. Wer auf Gnade sich beruft, der gibt zu, daß er ein Sünder sei und nichts Gutes verdiene, der beruft sich auf eine freie, unbedingte Liebe Gottes, der behauptet, daß Gottes Liebe größer sei, als unsre Sünde, daß Gott, Seiner Vollkommenheit unbeschadet, auch den Sünder lieben könne, daß ER trotz Seiner Gerechtigkeit, Wege des Erbarmens und der Wohlthat zu den Elenden und Sündern wiße. Und das ists, was an dem cananäischen Weiblein so deutlich hervorscheint. Der HErr spricht ihr alles Recht auf Seine Hilfe ab, Er nennt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/144&oldid=- (Version vom 28.8.2016)