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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

nemlich ist zwar aus der Angst und aus dem Gerichte genommen und Seines Lebens Länge kann niemand ausreden; aber wir stehen im Streit. Das Leben mit allen seinen Versuchungen und Sünden und Lasten, der Tod mit seinen Schrecken, die Ewigkeit mit ihren Schauern stehen vor uns, und alle Teufel sind gewillet und bemüht, das Leiden, Sterben und Auferstehen JEsu für uns nutzlos zu machen, uns vom ewigen Leben zurückzuhalten. Wir haben einen für unsre, sich selbst überlaßenen Kräfte zu schweren und ganz unmöglichen Kampf zu überstehen. Aber Christus ist mit uns, und wir müßen Ihn im Glauben halten, damit Er uns helfe und es Ihm gelinge wie mit Seinem großen Gotteswerke, so mit der Aufnahme und Rettung unsrer armen Seelen zum ewigen Leben. Drum laßt uns alle eins werden über dem Hosianna und unser „HErr, hilf; o HErr, laß wohl gelingen“ steige mit heißer Sehnsucht aus unserm Kidronthal zu Seinen ewigen Höhen auf. Hosianna Ihm − und uns, wenn wir Sein Wort hören! Hosianna, wenn wir zum Sacramente gehen! Hosianna, wenn wir in Versuchung zu Sünden stehen! Hosianna, wenn wir sterben! Hosianna, wenn wir eingehen ins ewige Leben. Hosianna, wenn wir auferstehen und im jüngsten Gericht! −

 O HErr, barmherziger, gnädiger Gott! Auch ich, auch meine Seele singt ein Hosianna. Aus den Tiefen rufe ichs zu Dir! Ich will am Tage Deines Fronleichnams zu Deinem heiligen Mahle kommen, meine Sünden ablegen, Deine Gnade faßen, Deinen Frieden empfangen sammt Deinem Leib und Blute. Ich wollte, ich wäre daheim bei Dir und meinem Volke; denn es grauet mir jetzt schon, von Deinem Altare wieder zurückzugehen in meinen Kampf und Strauß. Weil es mir nun hart geht in meinem Leben, gleich viel, ob vor Dir mein Streit und meine Arbeit schwer sei oder nicht; so ruf ich Hosianna! Laß mich ganz nur Deinem Willen leben und wohl und fröhlich vollenden, − und selig! Hosianna! Amen.




Am grünen Donnerstage.

Evang. Joh. 13, 1–15.
1. Vor dem Fest aber der Ostern, da JEsus erkannte, daß Seine Zeit gekommen war, daß Er aus dieser Welt gienge zum Vater; wie Er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende. 2. Und nach dem Abendeßen, (da schon der Teufel hatte dem Judas Simonis Ischarioth ins Herz gegeben, daß er Ihn verriethe,) 3. Wußte JEsus, daß Ihm der Vater hatte alles in Seine Hände gegeben, und daß Er von Gott kommen war und zu Gott gieng, 4. Stund Er vom Abendmahl auf, legte Seine Kleider ab und nahm einen Schurz und umgürtete Sich. 5. Darnach goß Er Waßer in ein Becken, hub an den Jüngern die Füße zu waschen und trocknete sie mit dem Schurz, damit Er umgürtet war. 6. Da kam Er zu Simon Petro; und derselbige sprach zu Ihm: HErr, solltest Du mir meine Füße waschen? 7. JEsus antwortete und sprach zu ihm: Was Ich thue, das weißt du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren. 8. Da sprach Petrus zu Ihm: Nimmermehr sollst Du mir die Füße waschen. JEsus antwortete ihm: Werde Ich dich nicht waschen, so hast du kein Theil mit Mir. 9. Spricht zu Ihm Simon Petrus: HErr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt. 10. Spricht JEsus zu ihm: Wer gewaschen ist, der darf nicht, denn die Füße waschen, sondern er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. 11. Denn Er wußte Seinen Verräther wohl, darum sprach Er: Ihr seid nicht alle rein. 12. Da Er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm Er Seine Kleider und setzte Sich wieder nieder und sprach abermal zu ihnen: wißet ihr, was Ich euch gethan habe? 13. Ihr heißet Mich Meister und HErr und sagt recht daran, denn Ich bin es auch. 14. So nun Ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch unter einander die Füße waschen. 15. Ein Beispiel habe Ich euch gegeben, daß ihr thut, wie Ich euch gethan habe.

I.

 DIe Gedächtniszeit der Leiden JEsu ist bis zu ihrem Höhenpunkt gekommen. Mit diesem Abend, an dem wir uns hier zur Feier des heiligen Mahles versammelt haben, bricht der große Versöhnungstag der

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/169&oldid=- (Version vom 14.8.2016)