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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 Gegenüber JEsu siehst du das krasse, schreiende Gegentheil. Der aufopfernden Liebe gegenüber steht der tödtende Haß, JEsu gegenüber Judas Ischarioth. Es ist ein so schöner Name, der Name Judas, und der eine Judas, der Mann von Karioth, wie sie Ischarioth deuten, der hat dem Namen für immer ein bös Geschrei gemacht, darum, daß er ihn trug. Der Name hat seine Deutung: „Der HErr sei gelobt“ − aber nun ist er gleichbedeutend mit „Jesusverräther, Gottesverräther.“ Was liegt am Namen? Aber daß ein Jünger so misrathen, so täuschen kann, daß ein Jünger sich dem Satan öffnen, Gedanken von ihm aufnehmen, ja den Satan in sich aufnehmen konnte! Das ist ein schrecklich warnendes Beispiel. − Da steht er − Judas gegenüber JEsu, in Judas, es ist grauenvoll zu sagen, − in Judas JEsu gegenüber der Teufel. JEsum verrathen will Ischarioth, JEsum verderben der Satan, welcher in ihn gefahren ist. JEsum verrathen, das heißt doch wohl die lebendige, helfende Liebe an den tödtenden Haß überliefern; JEsum tödten und verderben, was ist das anders, als die Liebe tödten und verderben. Welch ein teuflischer Gedanke ist das! Das hat sich die Hölle vorgenommen: − es soll keine Liebe Gottes mehr auf die Erde fallen und auf der Erde wirken. Denn die Liebe Gottes ist allmächtig; bleibt sie, so siegt sie, − wird sie in dem eingeborenen und menschgewordenen Sohne von der Erde weggeschafft, so hat dann die Hölle und das Verderben freien Raum. − Ach, und nun ist gekommen „die Stunde der Feinde und die Macht der Finsternis,“ wie der HErr selbst Luc. 22, 53. sagt! Wie steht sich Liebe und Haß, Himmel und Hölle, Christus und der Teufel einander gegenüber! Drohende Stille dieses Abends! Und Er ist allein, der Heilige, der Reine, und mit dem Satan ist Sein Reich! Von Ihm, dem Menschensohne, zieht sich der Himmel, die Engel, der Vater − immer mehr zurück, − Er wird immer einsamer, und es kommt so ein harter, folgenreicher Kampf! Denk ans Paradies, an die Worte, welche Gott nach dem Fall zur Schlange sprach, an den verheißenen Weibessamen − hier ist er: JEsus ist der Weibessame. Denk an den Schlangensamen − sieh nur! Judas ist der Schlangensame. „Ich will Feindschaft setzen zwischen ihrem Samen und deinem Samen“ − kennst du die Worte? Da hast du die Feindschaft: Judas, ein Apostel, vom Satan erfüllt, ist wider den Gerechten. Und diesen Abend rüstet sichs zum entscheidenden Kampfe: wie wird es hinausgehen!

 Es könnte einem bange werden, wenn man, des Ausgangs vergeßend, sich lebendig in den Gegensatz denkt. Aber ein Blick auf JEsum, wie Er Sich in unserm Texte zeigt, ein Wort aus Seinem Munde macht, daß wir fröhlich aufathmen. „Weine nicht, siehe, es hat überwunden der Löwe aus Juda,“ so rief ein Heiliger dem Jünger Johannes zu, als er, seines HErrn vergeßend, die Frage von dem Buch mit seinen sieben Siegeln hörte. Und so können wir einander zurufen, wenn wir am Abend vor dem größten Kampf von dem Räthsel des Ausgangs geängstigt werden. Sieh ins Angesicht des HErrn, welch eine Ruhe, welch eine Zuversicht! Ja, welch eine Freudigkeit! Und woher dieß alles? Das sagt uns Johannes: „Nach dem Abendeßen, da schon der Teufel hatte dem Juda Simonis Ischarioth ins Herz gegeben, daß er Ihn verriethe, wußte JEsus, daß Ihm der Vater hatte alles in Seine Hände gegeben, und daß Er von Gott gekommen war und zu Gott gieng.“ Das sind die Worte des Textes. Der HErr sah also ganz klar den Kampf, wie wir das schon bemerkten, aber auch den Sieg. Er kennt die Stunde, die gekommen ist: es ist Seine Stunde, − Sein, weil sie Ihm bescheert ist, zum größten Leid, zur größten Freude. Da wendet sichs, da wird alles anders, alles neu, Himmel und Erde wieder vereinigt oder doch bereits das Hindernis hinweggeräumt, um des willen Himmel und Erde bisher nicht vereinigt werden konnten. Die Stunde der Versöhnung, der Erlösung ist gekommen, − die Stunde des Gelingens, um die man gebetet hatte, so oft man sang: „HErr, hilf, o HErr, laß wohl gelingen!“ Welche Aussicht für den Versöhner und Erlöser?! Es ist kein Traum, es ist wirklich so; denn wie kann es anders sein, da der Vater dem Sohne bereits alles, also doch auch den Sieg in Seine Hände gegeben hat? Und wie sollte es auch anders sein können? Dem muß alles in den Händen liegen, der vom Vater ausgegangen ist zu siegen, der nun weiß, daß Er wieder zum Vater geht, aber gewis nicht nach unvollbrachter Sache. Auf der Wißenschaft der göttlichen Abkunft, der ewigen Bestimmung, der gewissen Uebergabe aller Dinge beruht die Freudigkeit Christi auch in der dunkeln Stunde, wo der Vater von Ihm wich. Was dem Sterbenden sonst oft verhüllt wird, die Zukunft, das liegt vor des HErrn

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/171&oldid=- (Version vom 14.8.2016)