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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

die in dieser Welt eine kleine Zeit zu leben haben. Und in diesem Berufe haben wir Christum zum Vorbild und auf dem ganzen Weg zum ewigen Heile haben wir Seine Fußstapfen eingedrückt, Fußstapfen des unschuldigen Leidens zum Heile anderer, Fußstapfen des guten Hirten, welchem alle, die vom Irrtum ihrer Wege zu Ihm bekehrt sind, nachfolgen sollen. − Ja und Amen dem ganzen Inhalt dieser Epistel und den mit ihr zusammenhängenden Versen! So wahr wir Seine Schaafe sind, so gewis ziemt uns, das Uebel zu vertragen und zu leiden das Unrecht! Aber ich protestire gegen jede Verwechselung des Uebels und Unrechtes, das dir von fremder Quelle zufließt, mit dem Uebel und Unrecht, welches du selbst thun könntest. Leiden sollst du Uebel und Unrecht aber thun sollst du keines, − und wenn man ein Uebel oder Unrecht nicht leiden kann, ohne Uebel und Unrecht zu thun, so soll man sich auch gegen das Leiden wehren. Du bist ein Knecht, unterthan deinem Herrn: er belegt dich mit Streichen und Schlägen, er mishandelt dich, er verspottet und verspeit dich um der Wahrheit willen: das ist alles Gnade, da bist du in Christi Fußstapfen. Hat der HErr das von den Knechten erlitten, warum sollte ein Knecht das von seinem Herrn nicht erdulden? Aber wenn du nun die Streiche nicht allein erduldest, sondern auch des bösen Herrn bösen Sinn annimmst, wenn du durch Streiche dich zum Bösen zwingen läßest: ist etwa das auch nach Christi Beispiel? Wo hat Christus mehr gethan, als gelitten das Unrecht? Wo hat Er Seine Peiniger dafür gerechtfertigt? Er hat zu dem, der Ihn schlug um der Wahrheit willen, gesagt: „Habe Ich Unrecht, so beweise es; habe Ich aber recht geredet was schlägst du Mich?“ Er hat Sich schlagen laßen und für die, welche Ihn schlugen, als für Uebelthäter gebeten. So hat Er Sanftmuth und Gerechtigkeit zugleich geübt, wider die Sünde geeifert und doch die Sünde getragen. Siehe zu, folge Ihm nach! Bei dem Bekenntnis der Wahrheit verharre, dieweil du lebst, in Lieb und Leid, in guten und bösen Tagen. Lobt man dich drum, so bedenke, daß ein Mann durch den Mund des Lobers bewährt wird. Schilt man dich, schlägt man dich; so leide, dazu bist du berufen; aber bleib auch am Bekenntnis, sonst trifft dich jener fürchterliche Fluch des Sanftmüthigen: „Wer Mich verleugnet vor den Menschen, denn will Ich auch verleugnen vor Meinem himmlischen Vater!“ − Es ist nicht böse Zeit, wo man Gelegenheit hat, zu thun, wie hier gelehrt ist. Mit Seufzen opfert man nicht, man soll mit Freuden geben − und wenn du Gott deinen Gehorsam unter Anfechtung und Verfolgung leisten sollst, so gehört das auch in den Spruch: „Freuet euch in dem HErrn allewege!“ Fröhliche, freudige Helden im guten, siegreichen, hoffnungsvollen Kampfe der Leiden sucht Gottes Auge!


Am Sonntage Jubilate.
1. Petri 2, 11–20.

 FRemdlinge zeichnen sich überall durch ihre Sitten aus. Pilgrime sind Fremdlinge, die ihre Heimath in einem heiligen Lande haben, nach welchem sie verlangen und sich sehnen, in welches sie heimziehen wollen. Sind wir nun Fremdlinge in dieser Welt, so werden dieser Welt Sitten nicht die unsrigen sein; sind wir Pilgrime, so werden wir die Sitten des heiligen Landes haben, in welchem unsre Wohnung ist. Heilige Sitten werden Gottes Fremdlinge und Pilgrime nach der heiligen Stadt auszeichnen. Gottes Pilgrime leben in dieser Welt also, daß man ihre Heimath an ihrem Wandel erkennen kann. Es kostet ihnen keine Mühe, also zu wandeln, sondern es ist ihnen eine innige Freude, in der Fremde die heimathliche Sprache zu sprechen, die heimathliche Sitte zu üben. So kostet Gottes Pilgrime das heilige Leben in der Fremde keine Mühe, sondern der Geist in ihnen, der Geist der Heimath, treibt sie, des Vaterlands eingedenk zu sein, eingedenk des Vaterlands zu leben.

 Zu dem guten Wandel aller Fremdlinge gehört Achtung vor den Gesetzen und Ordnungen der Fremde, so weit dieselbe sich mit der Liebe zum Vaterland vereinigen läßt. So gehört es auch zum guten Wandel eines Pilgrims Gottes, die Obersten dieser Welt zu ehren und unterthänig zu sein, auch wo man ihnen auferlegt, was hart und unbillig ist. Gottes Pilger

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/291&oldid=- (Version vom 14.8.2016)