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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

doch noch zweifelst und grübelst und seufzest und kopfschüttelst und sorgst, was thust du anders, als Gott widersprechen? als dem Wahrhaftigen mit Unglauben, dem Treuen mit Mistrauen begegnen? Bist du also nicht ein Ungläubiger? Sind also deine Sorgen nicht Sünden wider den Glauben? Trennen sie dich nicht von deinem Gott? Wird dirs belohnt werden? − Zur Zeit Elisa, des Propheten, und des Königs Joram von Israel belagerte Benhadad, König von Syrien, Samaria mit einem zahllosen Heere und durch die enge Einschließung der Stadt entstand eine solche Theurung innerhalb ihrer Mauern, daß Weiber ihre Kinder aßen. Eine schreckliche Verzweiflung ergriff König und Volk. Elisa aber weißagte: „Morgen wird ein Schäffel Semmelmehl einen Seckel gelten, und zween Schäffel Gersten einen Seckel unter den Thoren von Samaria.“ Da antwortete ein vornehmer Mann, ein Ritter, auf welches Hand der König sich stützte, voll Zweifel und herber Sorge: „Und wenn der HErr Fenster am Himmel machte, wie könnte solches geschehen?“ Was meint ihr, was der von seinen Zweifeln und Sorgen hatte? Der Prophet sprach zu ihm: „Mit deinen Augen wirst dus sehen und nicht davon eßen.“ In der Nacht aber machten sich die Syrer auf, ließen ihr Lager mit allem Vorrath stehen und flohen, so schnell sie konnten; denn Gott hatte sie ein furchtbares Geschrei von Roßen, Wagen und großer Heereskraft hören laßen. Da gieng ganz Samaria hinaus, zu plündern, − und es wurde eine solche Menge Beute gemacht, daß ein Schäffel Semmelmehl einen Säckel und zwei Schäffel Gersten einen Säckel galt. Der Ritter aber war beauftragt, am Thore das Volk, das hin und her drang, zu beaufsichtigen; allein das Volk achtete seiner Einsprache nicht, sondern sie stießen ihn um und zertraten ihn mit ihren Füßen, auf daß er mit den Augen des HErrn Wahrhaftigkeit sähe und nicht genöße. So straft der HErr die Ungläubigen! Wohl euch, wenn ihr ungläubigen Sorgen keinen Raum gebet.


 Die Verkehrtheit zeitlicher heidnischer Sorgen erweist sich ferner als Götzendienst und zwar als Mammonsdienst. Viele Menschen wollen ihrer Sorgen wegen nicht getadelt, sondern bemitleidet sein. Die Last empfinden sie, aber die Sündlichkeit erkennen sie nicht. Trost wollen sie im Hause des HErrn, nicht Bestrafung. Wenn solche Heilige unter euch sind, so werden sie es schon übel vernommen haben, daß ich sagte, Sorgen im Sinne unsers Evangeliums sei Glaubensmangel. Noch weniger kann es ihnen aber gefallen, wenn ich das Sorgen einen Götzen, einen Mammonsdienst nenne. Ich habe eine Scheu, auch dem Sünder mit Unrecht weh zu thun, denn ich bin auch ein Sünder, und wünsche milde Behandlung von meines Gleichen. Aber ich kann nicht anders, ich muß die Behauptung wiederholen: es ist Götzendienst, es ist Mammonsdienst, sich in Sorgen zu vertiefen. Es ist eine schreckliche Wahrheit, aber eine Wahrheit, von der man nur wünschen möchte, daß sie mit allen ihren Schrecken auf sorgenvolle Herzen wirken, von Sorgen befreien und zum Glauben und zur Anbetung des Einen wahren Gottes sie versammeln möchte. Haltet mir einen Augenblick Stand, lieben Brüder! Wann würden die Sorgenvollen zu sorgen aufhören? Die da täglich fragen: was werden wir eßen? was werden wir trinken? womit werden wir uns kleiden? − wann würden sie sich beruhigen? Nicht wahr, wenn sie eine reiche Erbschaft machen oder das große Loos gewinnen oder sonst zu Reichtum kommen würden. Warum würden sie aber dann sich beruhigen? Offenbar weil sie dann auf den Reichtum ihr Vertrauen setzen und überzeugt sein würden, es könne ihnen nun nicht mehr fehlen. Das Vertrauen auf den Reichtum kann also ein sorgenvolles Herz beruhigen. Warum bringt denn das Vertrauen auf den allmächtigen Gott und Seine wahrhaftigen Verheißungen nicht dieselben Wirkungen auf die Menschen hervor? Offenbar, weil das Vertrauen auf den sichtbaren Reichtum stärker ist, als das Gottvertrauen, sonst würde ja das Gottvertrauen auch Frieden und Beruhigung der Seele wirken. Wenn aber das Vertrauen auf den Reichtum größer ist, als das Vertrauen auf den lebendigen Gott, so ist der Reichtum mehr Gott, als Gott selbst, denn worauf man mehr, als auf alle andre Dinge vertraut, das ist des Herzens Gott; warum sollte denn nicht das des Herzens Gott sein, worauf man mehr, als auf Gott selbst vertraut? So ist doch offenbar der Reichtum, der Mammon des Sorgenvollen Gott und Götze, − und er unterscheidet sich von dem Geizigen nur dadurch, daß dieser auf einen Reichtum traut, den er hat, der Sorgenvolle

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 095. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/434&oldid=- (Version vom 24.7.2016)