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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Welt gewesen und die Zahl derjenigen, welche Jerusalem verlaßen, weil der Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte steht, war in jeder Zeit klein. Die meisten haben sichs je in der Welt wohl sein laßen, so gut es gieng, und eben so ist es noch. Dennoch kann ich eins nicht überwältigen, es kommt mir in den Sinn und kommt immer wieder, obschon ich weiß, daß ich nichts zu sorgen habe, und daß der HErr am Ende doch im Regimente sitzt und trotz des Siegsgeschreis Seiner Feinde und des Jammerrufes der Seinigen alles herrlich hinausführt. Dies Eine, was mich um der Zeit willen, in welcher ich lebe, traurig macht, ist die allgemeine ungebundene Freiheit im Urtheil über göttliche Dinge, die Zuchtlosigkeit der Seelen im Heiligtum, die Frechheit, mit welcher ein jeder auch das Lästerlichste und Abscheulichste über Gott, Seinen Christus und Seine Heiligen spricht. Ich weiß nicht, ob sich der große Abfall anbahnt, der vor dem letzten Siege kommt, ob, was wir dieser Art erleben, der Anfang oder das Ende sonst einer bösen Zeit ist: aber es erinnert an den Abfall, bei vielen ists der helle Abfall, und es bebt mir die Seele, wenn ich daran denke, wie viele sich in der verfluchten Art gefallen, die sich über alles Heilige zum Richter setzt und gar nie fragt, ob Verstand und Wille zum Urtheil da ist, ob nicht das ganze Treiben eine von Gott verhängte Verkehrung der Sinne und Geister ist? Was soll aus diesem Geschlechte durch diese Gesinnung, was aus der Jugend werden, die sich zum verwundern schnell die höllische Sprache des Abfalls in allen ihren bezeichnenden Ausdrücken und Wendungen aneignet und mit einer frevlen, nicht im mindesten unterdrückten Lust ausübt und anwendet? Der Geist, welcher sie diese Sprache lehrt, beherrscht nicht allein die Zunge, sondern fährt ins Gebet und verdirbt Blut und Mark. Eine Masse des Verderbens wird so das Volk − und „wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler,“ das seh ich, wie fliegende Inschrift, über dem trunkenen tollen Haupte dieser Zeit!

 Auf drum, weg aus Jerusalem, das ist Greuel der Verwüstung, selbst Verwüstung und Verwüstung bringend! Auf nach Pella! Wer eines treuen Herzens ist und den Worten JEsu glaubt, der sammle sich zum heiligen Bekenntnis der Wahrheit und ziehe unter ihrem Banner, gesondert von der verlorenen Rotte, JEsu nach. Zwar ist Pella nicht mehr auf Erden, sondern gen Himmel entrückt, weil die ganze Erde verderbt ist, und es ist drum mit keinem Verlaßen irdischer Orte gethan! Aber weil wir gen Himmel ziehen und entgegen gehen Dem, der da kommen soll, − weil es eine lebenslängliche Pilgerfahrt gilt, weil wir Judäa nicht hinter uns bekommen, so lange Lebenskraft in unsern Füßen ist, und den Jordan vor dem Tode nicht erreichen; so wollen wir uns zusammenschließen und in geschloßenen Reihen, Wehr in der Hand, das Lied des neuen Bundes im Munde, vorwärts ziehen. Wer den HErrn JEsus lieb hat, der gebe Laut, der bekenne, der stoße zum Haufen und scheue nicht Kampf, noch Wegfahrt! Wie lang wirds währen, so sind alle die Jahre von hinnen, wie dieß Kirchenjahr, und was ist dann unsre Mühe gewesen? Wie leicht wird uns dann unser Sieg der Treue vorkommen! Wie werden wir dann fröhlich und unser Mund voll Lachens und Rühmens sein! − Der HErr sendet uns Hilfe vom Heiligtum und stärkt uns aus Zion! Halleluja! Amen.




Am sechsundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 25, 31–46.
31. Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in Seiner Herrlichkeit, und alle heilige Engel mit Ihm, dann wird Er sitzen auf dem Stuhl Seiner Herrlichkeit; 32. Und werden vor Ihm alle Völker versammelt werden. Und Er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet; 33. Und wird die Schafe zu Seiner Rechten stellen, und die Böcke zur Linken. 34. Da wird dann der König sagen
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/489&oldid=- (Version vom 12.5.2018)