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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Aber wie schwer sind viele Pfarrer gestorben. Wer soll selig sterben, wenn nicht das Evangelium tröstet? Ich frag es und sage dazu: „Ein Pfarrer braucht mehr Trost des Evangeliums, als andere; denn das Amt, das hohe, erhabene, wird von ihm mit viel Untreue verunehrt! Alle Kirchkinder sollen beten, daß ihre Pfarrer den Trost empfinden, mit dem sie andere getröstet haben.“ Selig kann ein Pfarrer sterben, Gott Lob! Aber ruhig? Aber ohne Anfechtung? Aber im Frieden, in Freude? − Gott erbarme sich über alle Pfarrer, denen in Todesängsten die Würde ihres Amtes und, was sie gesollt haben, gezeigt wird!

 Das Amt hat Klarheit und gibt Klarheit! Aber die Personen, die es tragen, sind Mosi gleich die geplagtesten aller Menschen. Das wißen die nicht, die nur auf ihre Lasten sehen! Aber es wird einst offenbar werden. Wenn der HErr etliche unter Seinen Dienern dereinst wird leuchten laßen, wie des Himmels Glanz, dann wird es offenbar werden, aus welcher Nacht der Trübsal sie zu ihrem Lichte kamen! − − − Wenn ich Raum hätte und Zeit, ich würde das Amt preisen! Nun aber ist ein Seufzer ob seiner Herrlichkeit und eine Thräne ob unserer Sünde alles, was ich für diesen herrlichen Text zu geben habe.


Am dreizehnten Sonntage nach Trinitatis.
Galat. 3, 15−22.

 ALs die Welt zur Sündfluth reif war, bezeugte Gott von dem menschlichen Geschlechte eben dasselbe, was Er nach der Sündfluth auch bezeugte. 1. Mos. 6, 5. spricht Er: „Alles Dichten und Trachten des menschlichen Herzens war nur böse immerdar“ − und 8, 21. spricht Er gleichlautend: „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Und wie Er unmittelbar vor und nach der Sündfluth zeugete, so blieb es auch hernachmals mit dem Menschenherzen. Wollte der HErr den Menschen ferner wohl thun, so konnte Er’s um der Menschen und ihrer Schlechtigkeit willen nicht. Er mußte Wege und Mittel finden, freie Gnade walten zu laßen. Diese Wege und Mittel fand aber auch Seine göttliche Weisheit auf. Es waren die Wege der Versöhnung und Erlösung in Christo JEsu. Nicht gleich wollte und konnte Er der verderbten Welt den Erlöser geben. Ein Plan göttlicher Welterziehung für den Glauben an Ihn war gefaßt − und nicht eher sollte das unaussprechliche Geschenk des Gottmenschen, in welchem Himmel und Erde vereinigt wurden, sich auf die Erde herablaßen, als bis die Welt im Stande war, das Geschenk einigermaßen zu würdigen. Einigermaßen − sage ich! Denn wie viel faßt der Mensch von Gottes Wohlthaten? − Bis die Zeit erfüllet war, bekam die arme Welt also nicht das Geschenk der ewigen Gnade selber, sondern das, was man eben von einem Geschenke bekommen kann, ohne es selbst zu bekommen, die Verheißung, das Versprechen des gnadenreichen Geschenkes. So macht ein Mann bei seinen Lebzeiten sein Testament, d. i. er verspricht feierlich und rechtsgültig, daß bei seinem Abscheiden, d. i. zu der von ihm bestimmten Zeit und Frist, der und jener aus seinem Nachlaß das und jenes bekommen soll. Ein Testament ist nichts anderes, als ein dem Geschenke freier Güte voranlaufendes Versprechen. So ist denn auch Gottes Gnadenverheißung, durch Abrahams Einen Samen, JEsum Christum, allen Völkern Heil in Vergebung ihrer Sünden zu reichen, das gnädige Testament eines unsterblichen Vaters. − Dieses Testament gab Er Abraham, und von Abraham bis auf Weihnachten war eine wundervolle, wenn schon lange Wartezeit. In diese Wartezeit fällt die strenge Gesetzgebung auf Sinai. Diese freilich scheint, indem sie dem durch Werke Erprobten Heil verheißt, der gnädigen Verheißung, in Christo Heil aus Gnaden zu geben, völlig zu widersprechen. Aber sie scheint es auch nur. So gewis der Vater des ewigen Testamentes und der strenge Gesetzgeber eine und dieselbe allerheiligste Person ist, so gewis ist Testament und Gesetz nicht widersprechend. Vielmehr dient das Gesetz dem Testamente, damit das Testament hinwiederum dem Gesetze zur Verklärung und Erfüllung helfe. Indem das Gesetz an den armen, jeder Kraft und Tugend baaren Menschen Gottes Schuldforderungen bringt, die er nicht zu zahlen vermag, macht es ihn desto sehnsüchtiger nach Gnade, desto empfänglicher für Verheißung und Gnadengeschenk. Das Gesetz predigt

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/543&oldid=- (Version vom 1.8.2018)