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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 2. Indes leugnen wir gar nicht, daß aus den, sei es auch treuen Gerüchten und zufälligen Reden solcher, die selbst nicht in die Geheimnisse des Himmelreichs eingeweiht sind, nur ein Anfang des Glaubens hervorzugehen pflege und nach der Natur derselben meistens auch nur hervorgehen könne. Schon in dem vorigen Evangelium lasen wir, daß die Jünger durch das Wunder in Cana im Glauben fortgeschritten seien. Es gibt Stufen des Glaubens, sofern nicht ein Glaube dieselbe Klarheit und Kraft gibt, wie der andere. Je mehr den gläubigen und glaubenswilligen Gemüthern offenbart wird, was sie glauben sollen, desto mehr wandeln sie aus Glauben in Glauben, und jede neue Stufe des Glaubens gibt alsdann dem, der sie ersteigt, das Gefühl, als sei er nun erst recht zum Glauben gekommen. Von diesem Wachstum des Glaubens gibt uns auch dieß Evangelium Zeugnis.

 Wir sehen die Bittenden zu JEsu kommen und hören den HErrn mit ihnen reden, und Seine Rede wirkt auf sie, wie Oel auf die düstere, verlöschende Lampe. Eine Lampe brennt durch Zuguß des Oeles nicht bloß länger, sondern auch schöner. So wird der Glaube des Aussätzigen und des Hauptmanns durch die Rede des HErrn emporgerichtet und zum schöneren Leuchten gebracht. Schon zuvor hatten beide etwas gehabt, woran sie sich fest hielten, das nemlich was sie von JEsu Wort und Seiner wunderbaren Hilfe durch andere vernommen hatten. Nun aber hören sie Sein selbsteigenes, zu ihnen gerichtetes Wort; durch dieses Wort hat ihr Glaube neues Oel gefunden, ja, an demselben flammt er empor wie das Licht an einem neuen Docht, welchen ein Weib am alten entzündet und in die frisch gefüllte Lampe gelegt hat. Eine neue Kraft durchdringt sie, da ihr Glaube aus einer Zuversicht, von JEsu Können nun in die schönere von Seinem gnädigen Wollen verwandelt wird.

 Liebe Brüder! Unser Glaube hängt auch an JEsu; wir wißen, daß Er uns in allen Nöthen helfen kann und wird; aber freilich die Zeit und Art Seiner Hilfe wißen wir nicht, und wir können es uns selbst nicht verbürgen, ob unsere Bitten Ihm in allen Fällen wohlgefällig sind; wenigstens ist es oft so − und es kann auch nicht leicht anders sein, als daß wir bei allem Vertrauen auf Sein Können und Wollen dennoch oftmals im Dunkeln wandeln. Was uns fehlt, ist ein so bestimmtes Wort von Ihm, wie das: „Ich will, sei gereinigt,“ das der Aussätzige, oder das: „Ich will kommen und ihn gesund machen!“ welches der Hauptmann erhielt. Hätten wir auch in jedem Falle eine solche ins Einzelne gehende, bestimmte Verheißung; so würde auch unser Glaube daran lichterloh entzündet werden. Da wir sie nun aber nicht haben und nicht haben werden, so fragt es sich: warum entbehren wir das? Und sind wir nicht verkürzt? Die Antwort ist: Gewis nicht, wir sind recht betrachtet sogar im Vortheil. Unsre Aufgabe ist allerdings die schwerere. Da sie uns aber von dem HErrn angewiesen ist, so haben wir zu erwarten, daß uns durch Seine Kraft auch das Schwerere gelingen soll. Ohne den Wunderglauben, ohne seine lebhafte Glut, ohne einzelne oder ins Einzelne gehende Verheißungen wißen wir dennoch, daß wir Sein sind. Wir haben Generalverheißungen Seiner Gnade, wißen, daß alles in Gnaden gefügt sei, was uns trifft, daß alle unsre Gebete erhört sind: da üben wir denn unsern Glauben auch in einzelnen schweren Fällen und die stille hoffnungsvolle Lampe des Glaubens verlischt nicht, so finster es auch zuweilen um uns her werde. Im Gegentheil, je mehr wir an der Verheißung erstarken, desto mehr erweist sich unser Glaube als dem des Aussätzigen und des Hauptmanns ebenbürtig, weil er in uns ganz dasselbige wirkt, was der des Aussätzigen und des Hauptmanns wirkte.

 3. Diese Wirkung sehen wir am Hauptmann. Der Glaube wirkt eine ganz verschiedene Beurtheilung aller Dinge im Vergleich mit derjenigen, welche man zuvor gehabt hat. Wer lehrte den Hauptmann, Christum als das Haupt aller Dinge, alle Dinge unter diesem Haupte zu sehen und anzunehmen, daß Ihm alles Gehorsam leiste? Es ist der Glaube. So gieng es dem Hauptmann im Evangelium, so geht es allen, die gläubig werden. Ehe sie glaubten, dachten und urtheilten, redeten und sprachen sie anders. Daher sollte man eben auch von den Ungläubigen die Gedanken und Urtheile und Reden der Gläubigen nicht erwarten, es ihnen so hoch nicht anrechnen, wenn ihr ganzer Gedankenkreis und ihre ganze innere Strömung von der unsrigen verschieden ist. Wie können sie anders als ungläubig denken, urtheilen und reden, da sie nun einmal ungläubig sind? Erst mit dem Glauben ändert sich vom tiefsten Seelengrunde heraus das ganze Leben. Da ist doch in der Welt

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 083. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/94&oldid=- (Version vom 22.8.2016)