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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

wie es leicht zu erklären ist, daß sie nach der Scheidung wirklich geisteskrank wurde. Vielleicht hatte sie eine Anlage zur Geisteskrankheit; wer sich aber in ihre Lage versetzt, wird zugeben, daß es am Ende gar keiner weiteren Anlage bedarf, als die jeder Mensch hat, um in einem solchen Falle verrückt zu werden. Sie hatte den Mann lieb, wenn auch nur in sinnlicher Weise, hatte ihm ihr bißchen Vermögen zugebracht: dafür mußte sie sich mishandeln, verjagen, in einen fast elfjährigen Scheidungskampf hineinziehen, endlich scheiden und sich alle Schuld aufbürden laßen, während auch das Bißchen Vermögen dahin, und nichts mehr zu gewinnen war.

 Bei alle dem maß sich der Mann für sein Verhalten keineswegs ein göttliches Recht zu. Bei einem der Sühnversuche wollte ich Stellen des göttlichen Wortes anwenden, um ihn zum heilsamen Ziele zu bringen, und fragte ihn daher zur Einleitung, ob er das Wort Gottes für sich als entscheidend anerkenne. Darauf sagte er ganz einfach: die Bibel habe Recht und ich nach der Bibel, er dagegen Unrecht; dennoch aber möchte ich nur alle Mühe sparen, ihn zu ändern, da er doch von seinem Wege nicht laßen könne. Auch sonst konnte er sich auf das leichtsinnigste selbst beschuldigen, ohne daß ihm sein Gewißen Unruhe zu machen schien. Er that mit Bewußtsein das Böse, welches er kannte, und als solches bekannte. Allerdings sprach er sich aber auch zuweilen dahin aus, daß er sich beßern wollte, aber erst wenn er zu seinem Ziele gekommen sein würde. Das wußte er eben nicht, und wenn mans ihm sagte, glaubte ers nicht, daß man auf dem Wege der bewußten Sünde immer härter und untüchtiger zur Umkehr wird.

 Wenn er nun nach der Scheidung die Mutter seiner beiden im Ehebruch erzeugten Kinder, von denen eins noch am Leben war, geehelicht hätte, um ihr Mann, dem Kinde Vater zu sein, wie ers schuldig war; so würde man ihm ein gewisses Maß von Ehrenhaftigkeit haben zuschreiben können. Aber nein, die Dirne hatte nichts; dagegen aber heirathete er eine andere, also eine dritte, und zwar unter der offenherzigen Grundangabe, daß er Geld brauchte. Die, mit welcher er verehelicht sein wollte, brachte ihm nach dem gerichtlichen Protokoll 250 fl. zu; dafür ließ er die Mutter seiner Kinder und das Kind selbst sitzen und begehrte mit der wohlhabenderen Dirne getraut zu werden.

 Wer den Mann kannte, konnte diese Handlungsweise durchaus

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)