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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

nicht befremdlich finden. Er hatte sich seit vielen Jahren der Kirche und des Sacraments entschlagen, weil der Seelsorger bei einem jeden Versuch, den er machte, um zu Gottes Tisch zu gehen, die dringende Aufforderung an ihn gestellt hatte, nicht bloß ein Hörer, sondern ein Thäter des Wortes zu sein, er hingegen den Anspruch machte, sein Leben in Sünden und Lastern fortführen und dabei unbesprochen zum Sacramente gehen zu dürfen. Er war ein Trinker, ein Lästerer des Heiligen und guter Sitten, roh und zornmüthig, gewaltthätig u. s. w. Ohne allen Zusammenhang mit dem göttlichen Wort und dem Gottesdienste, fand er es immer leichter, ohne Gotteswort zu leben, so daß er bei seiner Anmeldung zur Proclamation mit frecher Stirne sagte, nicht blos, daß ihm persönlich an der Trauung gar nichts liege, daß er schon bei seinem Verlöbnis seine Ehe begonnen habe und nichts begehre, als unangefochten fortleben zu dürfen, sondern auch, daß ihm am Christenthum selbst nichts liege, und ich bestimmt noch seinen Austritt aus der christlichen Kirche erleben würde. Wenn auch solche Reden noch keine Thaten sind, und ein innerlich zerrütteter Mensch je nach Zweck und Umständen oftmals die entgegengesetztesten Dinge setzen und sagen kann, so ist doch damit genug gesagt, um das Bild des Mannes zu vollenden, der die Trauung verlangte, und um den Abschlag des Pfarrers zu rechtfertigen.

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 Wem schlug ich die Trauung ab? Einem Manne, der seinem Weibe es unmöglich machte, mit ihm zu leben, um den Schein der böslichen Verlaßung auf sie bringen, sie durch einen rechtsgiltigen Ausspruch des Ehegerichtes auf immer von sich jagen zu können, der seine Bosheit auch wirklich zu Ende und sein armes Weib nicht bloß um ihre arme Habe, sondern um alles brachte, am Ende wohl gar um den gesunden Verstand, – einem Ehebrecher, der frech genug war, sein Weib wegen böslicher Verlaßung zu verklagen, während er mit einer anderen in fortgesetztem Ehebruch lebte und Kinder erzeugte, – einem Ehebrecher, welcher das zweite Weib, sammt seiner Nachkommenschaft, wie das erste verließ und um Geldes willen ein drittes nahm, – einem Menschen von lüderlichem, allgemein bekanntem Wandel, – einem Lästerer, einem Feinde des göttlichen Wortes und der Kirche, einem abfälligen, unbußfertigen und groben Sünder. Ich konnte nicht anders, darum war auch die Gemeinde in größter Mehrzahl beifällig, als ich die Trauung weigerte, und unter den Geistlichen der Diöcese

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)