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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

 Da hat man nun gesagt, ich hätte den ersten und den dritten Grund gar nicht vorbringen sollen. Den ersten nicht, weil er die bisherige Praxis der lutherischen Kirche in Frage stelle, und, selbst wenn meine Ueberzeugung die richtige wäre, ein lutherisches Kirchenregiment sie doch annoch nur als subjective Ansicht behandeln könne, geschweige wenn die bisherige Praxis der Kirche ganz richtig, der Scheidungsgrund wegen böslicher Verlaßung keineswegs unzuläßig sei. Den dritten nicht, weil die biblischen Stellen, auf Grund welcher ich ihn erhoben hätte, also 2. Mos. 22, 16 u. s. w., in der kirchlichen Praxis so ungeläufig seien, daß man am Ende sagen könne, sie erlitten gar keine Anwendung auf den Fall. Ich hätte mich bloß an meinen zweiten Grund halten, oder doch den vierten gebührend einreihen und beziffern und ihn klarer und deutlicher als Ehehindernis hinstellen sollen. Nun will ich gerne gestehen, daß es ein Fehler ist, zwei prekäre Gründe mit aufzuführen, wenn man noch zwei andere hat, von denen man den sichersten Erfolg voraussieht. Auch in solchen Dingen, in Berichten, bei Streitschriften und dergleichen, verdient das Gesetz der Sparsamkeit, nach welchem man mit den wenigsten Mitteln das meiste zu erreichen strebt, alle Anerkennung, und ich namentlich zolle ihm dieselbe im reichsten Maße. Andererseits gestehe ich aber auch, daß ich in dem Fall, von welchem wir sprechen, den zweiten und vierten Grund für ebenso erfolglos wie den ersten und dritten, – daß ich von vorneherein alle vier Gründe für erfolglos gehalten, und, wenn einmal kein Dimissoriale gegeben werden durfte, unter den gegebenen Umständen die Suspension, wenigstens die Suspension, für ganz unvermeidlich erkannt habe. Ich hätte eben so gut bloß den Fall erzählen und ohne einzelne Aussonderung meiner Gründe sagen können: „„in diesem Fall kann ich nicht trauen.““ Der Erfolg wäre einer und derselbe gewesen. Oder sehen wir uns einmal die Weigerungsgründe einen Augenblick einzeln an.

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 Das Leben des Bräutigams war in religiöser und sittlicher Beziehung, auch nach dem Maße der ihm zu Theil gewordenen Vermahnung, gewiss zur Excommunication reif. Ich hätte ohne allen Zweifel die ganze Gemeinde, mit den etlichen Ausnahmen, die vorgekommen sind, auf meiner Seite gehabt, wenn ich ihm als einem Excommunicierten oder so zu Achtenden die Einsegnung der Ehe ebenso verweigert hätte, wie die Leicheneinsegnung, wenn er gestorben wäre. Aber wer hält es denn gegenwärtig für hinreichend zur Excommunication, wenn das dic

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/20&oldid=- (Version vom 1.8.2018)