Seite:Wilhelm Löhe - Meine Suspension im Jahre 1860.pdf/23

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

 Trauung zu weigern; Nro. 2 allein nöthigte selbst mich nicht, wie ich das auch in meinem Weigerungsbericht bekannte, weil ich keinen Beruf hatte, das rechtmäßige Ehegericht zu controlieren. Ich konnte meine abweichende Ueberzeugung gewißenshalber bemerklich machen und mein tiefes Bedauern ausdrücken, aber ich mußte der Sache den Verlauf laßen, wie das im armen Leben tausendmal der Fall ist.

.

 Schon daraus ergibt sich, von welcher Bedeutung für mich mein erster Grund war. Ich bin sehr wohlwollend belehrt worden, daß der Scheidungsgrund der böslichen Verlaßung von der luther. Kirche anerkannt sei, daß er auf dem Wege der Analogie mit dem von St. Paulo 1. Cor. 7. angeführten Falle zur Anerkennung gekommen sei. Aber das wußte ich schon vorher. Ich kannte den Weg unserer Kirche schon seit Jahrzehenten. Es haben mich die Deductionen der neueren Theologen und Juristen ebenso wenig überzeugt, als die der älteren. Ich hatte lange die Ueberzeugung, daß der Weg der Theologen und Juristen in dem Fall, wie in gar manch anderem, nur auf der Brücke von menschlichen Auslegungen und Traditionen gieng, daß man aber solche Auslegungen und Traditionen ebenso wenig, als es mit den herkömmlichen Traditionen der Römischen 1530 geschah, zum Kennzeichen und zu einer Standarte der Kirche machen dürfe. Ich wußte wohl, daß ähnliche Schlüße per Analogie schon in sehr frühen Jahrhunderten versucht worden waren; ich hielt aber alle diese Schlüße für Versuche der Vernunft, den Weg des Herrn etwas breiter zu machen, wie denn dieser Versuch gewiss auch leicht entschuldigt werden kann, wenn man bedenkt, wie schwer, ja wie unmöglich es namentlich in Ehesachen ist, in Massenkirchen den Weg des Herrn zu gehen und alle darauf zu führen. Auch sah ich es an den Beispielen, die ich wahrnehmen konnte, was für namenloses Unglück und Elend, was für Leichtsinn und Sünde durch den protestantischen Scheidungsgrund von der böslichen Verlaßung in unsere Gemeinden gebracht wurde. Wenn man den Muth gehabt hätte, die bösliche Verlaßung von Seiten der Kirche so zu faßen, wie es sich für die Kirche geziemt hätte, und man nicht allzusehr dafür besorgt gewesen wäre, daß vielleicht ein verlaßener Ehegatte nicht ohne Ehe leben könnte, – wenn man mit einem Worte eine bösliche Verlaßung nicht als Erlaubnis zu anderweitiger Verehelichung benutzt hätte; so wäre der Kirche viel Elend erspart worden. Weder der Herr Matth. 19. noch sein Apostel 1. Cor. 7.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/23&oldid=- (Version vom 1.8.2018)