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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

sein können als an dem anderen, so ist auch ein Unterschied in Verfaßung und Regiment der Kirche und dürfte wohl bischöfliches Regiment und Verfaßung der Kirche am besten entsprechen; aber einen zur wahren Einigkeit nothwendigen Punkt darf man weder aus dem, noch aus jenem machen.

 Wer sich daher von dem Bekenntniß oder der Sacramentsverwaltung einer Kirche scheidet, der separiert sich und bricht die Einigkeit. Dagegen aber kann man es nicht Separation und nicht Bruch der Einigkeit nennen, wenn man bei gleichem Bekenntniß und gleicher Sacramentsverwaltung sich zu verschiedenen Ceremonien, zu verschiedener Kirchenverfaßung, zu verschiedenem Regimente versammelt. Die miteinander dasselbe Credo sprechen und zum Tisch des HErrn gehen können, haben durch Gott Freiheit in allen Adiaphoris.

 Wenn unter Brüdern, die eines Glaubens und Sacramentes sind, ein Theil gewiss wird, daß die Ceremonien, die Kirchenverfaßung, das Regiment für die Führung der Seelen nicht förderlich ist, sondern hinderlich, pastoral und pädagogisch verwerflich; so handeln die Brüder dieses Theils nicht wider Gott, auch nicht wider die wahre Einigkeit, wenn sie gegen die Misbräuche und falschen Traditionen Zeugnis ablegen, sondern sie erfüllen die Pflicht der Liebe zu Gott und zu den Brüdern. Wenn aber ihr Zeugnis nicht angenommen wird, und sie sich in Folge des zu beßeren Ceremonien und Ordnungen vereinigen, so sündigen sie damit nicht, wenn sie den anderen ihre Freiheit laßen und sich des Friedens und der Liebe befleißigen. – Wenn sie darüber angefochten würden und litten, könnten sie sich des Segens Christi getrösten, zumal wenn sie die mit ihnen unzufriedenen Brüder lieben und segnen, und, so viel an ihnen selbst liegt, die Kirchengemeinschaft mit ihnen hielten. Es konnte daher ganz wohl z. B. in Hamburg vor Jahrzehenten neben der Staatskirche eine freie lutherische Gemeinde entstehen und sich bis zur Stunde Segens und Friedens erfreuen. Ebendasselbe könnte anderwärts geschehen, sogar Friede und Segen und gegenseitige Förderung bei beiden Theilen sein.

 Diesen richtigen Grundsätzen gegenüber sehe ich die unevangelische Gesinnung derer, welche die privilegierten Staats- und Landeskirchen je in ihren Landen mit der Kirche selbst verwechseln, der Kirche ihre göttliche Freiheit in Adiaphoris nehmen und alle Menschen des gleichen Bekenntnisses zwingen wollen, bei einerlei Tradition und

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/40&oldid=- (Version vom 1.8.2018)