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Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers

besten Willen von Seiten der Oberen und von seiner eigenen Seite, dennoch ankommt, das Rechte und zwar in rechter Weise zu thun, zumal wenn beiderseits Verschiedenheiten der kirchlichen Ueberzeugungen Einfluß üben und üben müßen.

 Bei der vorausgehenden Einleitung ist der Fall, um den es sich handelt, vorausgesetzt. Da nun aber gerade auf ihn das meiste ankommt, so muß der Leser vor allen Dingen gebeten werden, sich aus der nachfolgenden Erörterung mit demselben bekannt zu machen.

 Der Bräutigam war zur Zeit, da er sich zum zweiten Male verehelichen wollte, nicht völlig 36 Jahre alt. Ich selbst war fast 23 Jahre Pfarrer in ND. und hatte ihn unterrichtet und confirmiert. Sein Vater starb frühzeitig dahin, und er hatte daher kein häusliches Hindernis, sich einem weltlichen und zügellosen Leben zu überlaßen. Da er sein Handwerk wohl verstand, und man desselben in der Gemeinde bedurfte, gelang es ihm bereits in einem Alter von 23 Jahren, ansäßig zu werden. Er war arm und heirathete daher unbedenklich ein für ihn durchaus nicht passendes Mädchen, das bereits im 31. Jahre stand, weil sie etwas Vermögen hatte. Die Verbindung war unglücklich, schon ehe sie durch die Trauung besiegelt war. Das Weib wurde schon als Braut auf eine rohe und übermüthige Weise mishandelt, und war nicht die Person dazu, um sich dem Manne gegenüber Achtung zu verschaffen. So war es nicht zu verwundern, daß bereits vor Ablauf eines Jahres der Versuch gemacht war, das eheliche Band wieder zu zerreißen, ja daß schon drei Tage vor Jahresschluß vor dem zuständigen Gerichte der erste seelsorgerische Sühnversuch abgehalten wurde. Da der Mann auf Grund unüberwindlicher gegenseitiger Abneigung die Ehescheidungsklage gestellt hatte, die Frau aber keine Abneigung gegen ihren Mann fühlte und dies auf seelsorgerisches Mahnen zu Protokoll gab, so konnte aus dem ersten Scheidungsversuche nichts werden. Demselben folgten aber andere, und die Gründe zur Ehescheidung waren mancherlei. Es dauerte fast elf Jahre lang, ehe der Mann, der ohnehin auf Armenrecht processierte, und daher schwerer durchdringen konnte, als ein anderer, der mehr Aufwand zu machen hatte und der Sache mehr nachgehen konnte, zu seinem Ziele kam. Erst am 20. Aug. d. J. 1859 wurde die Scheidung wegen böslicher Verlaßung ausgesprochen, die Frau für den allein schuldigen Theil erklärt, beiden aber die Wiederverehelichung gestattet, der Frau nach Ablauf

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines Landeskirchlichen Pfarrers. C. H. Beck’sche Buchhandlung, Nördlingen 1862, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Meine_Suspension_im_Jahre_1860.pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)