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Geheimnis, welches die Engel zu schauen gelüstet, möchte ich euch gerne mit ehrfürchtiger Hand den Schleier ein wenig wegziehen, auf daß ihr sehet, auf daß sich in euch spiegele des HErrn Klarheit mit aufgedecktem Angesicht und Seine Leidensschöne euch offenbar werde.

 Vor vierzehn Tagen haben wir die Demut unseres HErrn zuerst im Fußwaschen gefunden. Eben darin finden wir fürs erste Seine Hoheit. ER wäscht den Jüngern die Füße, bedient sie, wie ein Sklave; und da er sich vom Boden aufrichtet, ist Sein erstes Wort: „Ihr heißet mich Meister und HErr, und ihr sagt recht daran, denn ich bin’s auch!“ Damit macht er das Zeichen der Unterthänigkeit zum Zeichen der Herrschaft und gebietet auch allen denen, die groß und vornehm sein wollen in Seinem Reiche, Ihm darin nachzuahmen. Denn in Seinem Reiche ist eine Ordnung, welche im Vergleich dieser Welt gerade die entgegengesetzte und umgekehrte genannt werden muß. In dieser Welt nennt man die Gewaltigen gnädige Herren, im Reiche unsers Königs JEsu Christi werden die Ältesten wie die Jüngsten, die Größten werden die Kleinsten, und niemand ist geringer und kleiner geworden, als der ewige und große König, unser HErr JEsus Christus. Darum ist Er der Größte. Wie in einem Hause die Väter und Mütter die jungen Kinder bedienen und doch die Größten im Hause sind, so im Haus und Reich des HErrn: Er dient allen. Seine höchsten Engel haben nach Ihm den Vorzug, die Geringsten, die Kinder, zu bewahren und zu bedienen. Seine heiligen Apostel, die Fürsten Seines Reichs, die einst auf zwölf Stühlen sitzen und richten werden, sie gehen gleich Bettlern einher und predigen das Evangelium aller Kreatur. Sehet da ein Reich ohne Prunken, voll Wesen und Wahrheit, ohne Schein, voll äußerer Unscheinbarkeit, inwendiger Majestät. Da ist es nicht, wie in der Welt! In der Welt ist König, wer die Krone aufsetzt, daß sie schimmernd vom Haupte strahlt, hier ist König, wer sie ablegt, eines Knechts Gestalt anlegt und als Knecht die Füße seiner Knechte wäscht; und Demut heißt des Königs Glanz und Zier.