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es ist ihnen so wehe und bang, daß sie bei allem Eifer nach Heiligung doch noch viel straucheln und noch nicht dem Vorbild des ähnlich geworden sind, der sich ein Volk zum Eigentum erkaufen wollte, das fleißig wäre zu guten Werken. Das ist der geheime Gram vieler Seelen, daß sie nicht heilig genug werden, ach, und es ist ein schweres, freude- und friedenstörendes Übel.

 Zu diesen Seelen sage ich heute mit dem Apostel Johannes: „Euch ist das Evangelium gepredigt, auf daß ihr nicht sündigt; so aber jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, JEsum Christum, den Gerechten! Heute ist euer Fürsprecher eingegangen, der seit Seinem Eingang täglich für Sein streitendes Volk, also auch für euch bittet, denkt an Sein Wort, das ER gesagt hat: „Wer gewaschen ist, bedarf nicht, denn daß er die Füße wasche,“ die vom täglichen Wandel wieder sündenbestaubt werden, denkt daran und glaubt hinfort an Seine tägliche Fürbitte für uns Elende.

 Wenn ihr nicht glauben wolltet, so würdet ihr damit zu erkennen geben, daß ihr das Werk seiner Erlösung nicht für vollendet, nicht für hinlänglich zur Bezahlung eurer Sünden haltet, daß ihr Seine Fürbitte im Himmel für unkräftig, Seine Gerechtigkeit nicht für vermögend hieltet, eure, alle eure Sünden zuzudecken, ja, es würde sich in diesem euerm Zweifel die Tücke eures Herzens kund geben, daß ihr euch noch nicht Ihm ganz übergeben hattet, daß ihr selbst erst besser werden wolltet, ehe ihr zu Ihm kämet, daß ihr eure Gerechtigkeit für wichtiger, als Seine hieltet, euch für mächtiger, als Ihn, den Herrlichen! O meine Teuren! Hebt eure Häupter auf mit Freuden, lernet täglich um Vergebung der täglichen Sünden beten, und durch die Kraft eures Fürbitters JEsu inne werden, was Luther im Katechismus lehrt, daß uns „täglich alle Sünden reichlich vergeben werden“. Das lernet heute zu Ehren eures Fürbitters, freuet euch und frohlocket und wisset, daß die Freude über Seine Gnade euch in Besiegung der anklebenden Sünde weiter fördern wird, als alle Schwermut und Traurigkeit.