Seite:Wilhelm Löhe - Sieben Predigten in Nürnberg zu St. Aegydien (2. Auflage).pdf/18

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Erde, auf der man Ihn nicht sieht; was hilft’s, daß man Seinen Namen in allen Jahreszeiten abgeschattet und auf den Fluren hingeschrieben findet, wenn Er selbst nicht geschaut wird, auf deß Geheiß die Frühlingsschönheit blüht, und der Herbst verwelkt? Wer mit der Erde zufrieden ist, kennt den Himmel nicht, wer sein Herz in ihre Freuden vertieft, macht es untüchtig für die Himmelsfreuden. Christen, welche ein Recht haben an die Ewigkeit, vernehmen überall das Seufzen der Creatur und ihre Sehnsucht nach Vollkommenheit. Ihr Herz sehnt sich und seufzet mit, ja seufzet mehr und schmerzlicher als alle Creaturen, weil sie wissen, daß es des Menschen Schuld ist, daß er und mit ihm diese ganze Welt leidet, seufzet und sich sehnt. Sie sehen und hören in dem Seufzen der Creatur überall die stumme Frage: warum hast Du uns das gethan und wann, wann giebst du uns wieder, was du uns genommen hast?


2.

 Doch, Gott sey Dank, weder die Gläubigen noch die übrige Creatur seufzt und sehnt sich umsonst; ihr Seufzen nach Erlösung ist nichts, als eine Weissagung auf die endliche Erlösung selbst. Wenn die Zeit erfüllet seyn wird, wird die Verheißung hinausgehen, der Leidensstand wird dann in einen Freudenstand verwandelt werden. – Wann aber, wann wird die Zeit erfüllet werden, wann wird das Jammerthal in’s Freudenthal verwandelt werden? Es wird geschehen zur letzten Zeit, wenn die Posaunen klingen und der Sohn Gottes kommt, die Todten aufzuwecken. Bis dorthin muß sich der Glaube gedulden, das Volk Gottes durch des Todes Bitterkeit in’s stille Paradies hinfahren und harren; durch Stilleseyn und Harren aber kommt der ersehnte Tag der Erlösung herbei. Bis dorthin ist die Erde ein Schlafhaus und verbirgt in ihren vielen Wohnungen Alle, die auf jenen Tag warten. An jenem Tage