Seite:Wilhelm Löhe - Tractate für die Seelsorge 2.pdf/4

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Leib und meine Seele, denn die zusammen geben erst ein Ich. Wie war ich, da mich meine Mutter empfieng? Ich war in Sünden; sie hat empfangen „mich in Sünden,“ d. i. mich, da ich schon in Sünden war. Nicht sie sündigte, damit, daß sie empfieng, nicht sie wird im Psalmenverse getadelt; sondern ich, weil ich aus sündlichem Samen empfangen bin und in Sünden war schon bei meiner Empfängnis. Wenn ich aber schon damals in Sünden war, so muß ich eine Seele gehabt haben schon damals, denn die Sünde hängt an der Seele und nicht am Leibe, der Leib wird erst sündhaft durch die Seele. „Warum darf man nicht sagen, fragte ein Pfarrer, daß Gott jedem Kinde die Seele neu schaffe, und warum muß man sagen, ein jedes Kind bekomme seine Seele, wie seinen Leib von den Eltern?“ Ein junger Bauersmann antwortete von seinem Sitze auf der Emporkirche herab: „Wenn Gott jede Seele neu schüfe, so würde er jede rein schaffen; ich aber bin in Sünden empfangen, also muß ich meine Seele bei der Empfängnis von meinen Eltern empfangen haben, wie meinen Leib.“ Vortreffliche Antwort, aus der aber auch mit Sicherheit hervorgeht, daß die Seele des Kindes so alt ist, als sein Leib, daß also auch alles, was empfangen ist, nicht bloß belebt, sondern beseelt ist, also ein Menschenkind völliger Art, also ein Todter Gottes, wenn es stirbt, es sterbe eine Minute nach der Empfängnis oder eine Minute vor der Geburt, oder in der Geburt. Sind aber die Todtgebornen oder Abgegangenen wirkliche Todte Gottes, so geht ihre Seele bei ihrem Tode zu Gott, wie jede Seele, und ihr Leib, so unvollkommen er beschaffen gewesen sein mag, wird auferstehen am jüngsten Tage.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Wilhelm Löhe’s Tractate für die Seelsorge. II: Trost für Eltern über todtgeborne Kinder. U. E. Sebald’sche Buchdr. u. Verlagshandlung, Nürnberg 1860, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Tractate_f%C3%BCr_die_Seelsorge_2.pdf/4&oldid=- (Version vom 27.7.2016)