Seite:Wilhelm Löhe - Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern.pdf/104

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

kundgegebenen betreffenden Lehrsätze gründen, sondern der Dissensus entspringt wohl mehr aus der verschiedenen Praxis, welche durch die allerdings bei beiden Theilen verschiedene Lehre vom Verhältnis der Gemeinde zum Amte und des Amtes zur Gemeinde bedingt ist, davon handeln wir sofort.

Ad b.

 Beide Theile scheinen mir insofern zu irren, als sie der Ortsgemeinde das Recht, ihren Pastor zu wählen und zu berufen, ohne weiteres zusprechen. Dies Recht gilt ihnen beiden als Ausfluß des allgemeinen Priesterthums der Christen. Zwar weist P. Grabau p. 40. die Wahl allen Ständen der Ortsgemeinde zu; da aber in einer Ortsgemeinde meist nur ein oder einige Prediger sind, so wird die Gemeinde in den meisten Fällen ohne einen Vertreter des Lehrstandes wählen oder doch ohne genügende Vertretung dieses Standes, namentlich wo das Stimmenmehr gilt, und es kommt deshalb trotz des guten Grundsatzes faktisch auf dasselbe hinaus, was in dem Kirchenordnungs-Entwurf der sächsischen Brüder p. 78. ganz einfach zu lesen ist: „Das Recht, die Kirchendiener zu berufen, steht bei der Gemeinde; sind aber in einer Gemeinde, welche einen Prediger beruft, schon andere Prediger, so gehören auch diese zu den Berufenden.“ Da nun überdies die sächsischen Brüder nach p. 69. die von Grabau gemachte, trotz Gerhards Auctorität auch für die Praxis wichtige Unterscheidung zwischen Wahl und Berufung als eine Subtilität verwerfen und die Wahl unter den Begriff der Berufung subsumiren; so liegt Wahl und Berufung, das ist im Grunde nicht weniger als alles in den Händen einer Ortsgemeinde. Pastor Grabau schwebte ohne Zweifel der richtige organisirende Gedanke vor, den Gemeinden bei ihrem Wählen und Berufen wenigstens das orthodoxe Ministerium aus der Nachbarschaft zur Seite stellen, – oder etwas der Art; er führt aber den heilsamen Gedanken nicht durch, und trotz vieler Anhaltspunkte, welche seine Aeußerungen denen darbieten, die ihm völliges Licht in Sachen kirchlicher Organisation zutrauen möchten, bringt mans am Ende doch immer nicht weiter, als zu der Ueberzeugung, daß er gehemmt ist, daß die vorhandene Hemmung ihn nicht zu dem einfachen Satze kommen läßt: „Ohne Beistand eines orthodoxen Ministeriums soll keine Wahl und Berufung geschehen.“ Und doch wäre dies das Wenigste, was man dem Ministerium zutheilen muß. – Die Hemmung liegt wohl nirgends anders, als in der nicht völlig klaren Abgrenzung des geistlichen Priesterthums der Christen von dem Bereich des geistlichen Amtes und in der Auctorität Luthers und älterer Lehrer im Betreff dieser Sache. Davon nachher.

 Es wird wohl hier am rechten Orte sein, eines Differenzpunktes zu erwähnen, welcher zwischen Grabau und den sächsischen Brüdern obzuwalten scheint. Die letzteren machen dem ersteren p. 71. den Vorwurf, daß er in dem Schreiben an P. Brohm den Grundsatz aufgestellt habe, „was die Apostel in der Kirche befohlen hätten, das sei nöthig und habe für alle kommende Zeiten verbindende Kraft.“ Die Stelle, aus welcher der Vorwurf seine Begründung nehmen müßte, bezieht sich speziell auf die Ordination, von welcher P. Grabau p. 58. sagt: „Da St. Paulus verlangte, daß Timotheus das Amt durch Ordination befehlen (d. i.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/104&oldid=- (Version vom 1.8.2018)