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nach bestem Wißen und Gewißen gebraucht. Allein bei einer solchen Ansicht von der Geltung der apostolischen Anordnungen müßte man wenigstens (wie das auch Luther seiner Seits ohne Sorgen thut) zugestehen, daß man den alten Kirchen widerspreche, eben so außer der lutherischen und einigen reformirten Kirchen allen noch jetzt bestehenden Kirchen mit Einschluß der anglicanischen, ja, vielen lutherischen Theologen und Kirchenordnungen oben drein. – Was insonderheit unsern Fall anbetrifft, so glaube ich Ursache zu der Annahme zu haben, daß beide, die sächsischen Brüder und P. Grabau, dasjenige, was im Neuen Testamente über Wahl, Berufung und Bestellung der Kirchendiener sich findet, wenigstens als apostolische Praxis respectiren, ja für maßgebend erkennen und oft als auf göttliche Aussprüche darauf zurückkommen. Ich meinerseits glaube jedenfalls, daß – die Frage von einem göttlichen Generalbefehl des Gehorsams gegen äußerliche Anordnungen der Apostel nun einmal bei Seite gelaßen – die apostolische Praxis die weiseste ist, daß in der ganzen Kirchengeschichte nichts Weiseres, Beßeres und Nützlicheres sich zeigte, ja daß die apostolische Praxis für sich bildende Gemeinden ganz natürlich ist, daß sie sich erzeugen mußte und immer wieder erzeugen muß, ja auch allenthalben selbst in der lutherischen Kirche, so weit es ihre Feßelung durch den Staat zuließ, erzeugt hat. Wo überall eine Kirche auf Erden zunahm und gedieh, hatte sie entweder die apostolischen Anordnungen oder doch annähernde. Ob es deshalb gewagt ist, zu sagen: je treuer wir dem apostolischen Vorbilde bleiben, desto beßer? – Genug. Ich denke mit meinen Brüdern auf Grund der apostolischen Anordnungen verhandeln zu dürfen, und das angenommen, scheint es mir klar, daß sowol P. Grabau als die sächsischen Brüder den Gemeinden bei Wahl und Berufung ihrer Aeltesten und Lehrer zu viel statuiren. Beide überlaßen die Wahl der Ortsgemeinde, während die Apostel und ihre Schüler die Presbyter setzen und der Gemeinde nur so viel Antheil an der Wahl der Person gestatten, als sie haben muß, wenn sie den aus ihrer Mitte genommenen Geistlichen das Zeugnis geben soll, das ihr gebührt. (S. Aphorismen §. 23. p. 55. ff.) – Wenn man freilich die Diaconen, welche in der That ganz anders ins Leben traten, als die Presbyter, mit den Presbytern vermengt, wie das P. Grabau p. 58. thut; dann kann man mehr Befugnis für die Gemeinden erschließen. Allein wir haben kein Recht, das zweite Amt der Kirche mit dem ersten zu vermengen, etwa bloß weil sich im Verlauf der Zeit an der Stelle des apostolischen Diaconats ein dem Presbyterat verwandteres, es vielfach verdrängendes geltend gemacht hat. Presbyterat ist Presbyterat; Diaconat ist Diaconat; Vermengung beider hat zeug der Kirchengeschichte geschadet. Darum wird immerhin dem Ministerium das Amt zu „setzen“ (wozu in den apostolischen Beispielen „wählen“ und „berufen“ gerechnet werden muß) bleiben und der Gemeinde nur irgend eine untergeordnete Betheiligung zukommen. (S. Aphorism. l. c.) Und da eine Gemeinde nur einen oder etliche Prediger haben wird, so wird man auf den Zusammenhang mit den Presbyterien oder Ministerien der nächsten Gemeinden, d. i. auf Organisirung eines größeren Ganzen wie von selbst hin geführt und genöthigt, und so gewis das Setzen dem Ministerium zugewiesen ist, so gewis wird alsdann nicht die Ortsgemeinde („independentische Gemeinde“) allein, sondern sie im Zusammenhang mit dem und geleitet

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Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/106&oldid=- (Version vom 1.8.2018)