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Artt.), so sind auch Luthers praktische Rathschläge durchaus Geburten des Nothstands, der Eisen bricht; sie werden selbst im Nothstande selten befolgt worden sein – und es beweisen so viele vor uns liegende Kirchenordnungen, daß in den nachreformatorischen Zeiten, dem Ministerium dasjenige Maß von Einfluß und Thätigkeit, welches ihm ohne Schaden der Gemeinden selbst nicht entzogen werden kann, auch je und je und fast allenthalben gegeben worden ist. Ich habe deshalb die gewisse Ueberzeugung, daß, bei völlig gleichem Grundsatz, Luther dennoch nicht für die americanische Praxis spricht, und glaube, daß die theuern Brüder in Nordamerica, so wie sie nur wollen, d. i. so wie sie noch einmal jene Bücher Luthers mit dem Sinne, das pro oder contra für meine Behauptung zu finden, lesen wollen, mir beistimmen werden. Nur der Mangel an Raum verbietet es mir, die Belege aus Luther hieher zu setzen. Ich muß es bei der Verweisung auf Luthers beide Schriften bewenden laßen und möchte nur die einzige kleine Bemerkung hinzufügen, daß einige kleine Inconsequenzen Luthers in der schriftlichen Darlegung seiner Rathschläge leicht zu erkennen und deshalb nicht anzuführen sind, um fürs Gegentheil meiner Behauptung zu sprechen.

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  Indes das alles handelt von der Praxis Luthers, mit welcher allerdings die nordamericanische nicht zusammengeht. Wir haben es aber hier mit dem Grundsatz zu thun, welchen die Brüder in Missouri etc. mit Luther gemein haben und aus welchem sie durch eine Art von Consequenz eine andere Praxis erschließen, als Luther selbst den Böhmen rieth. Ich meine den Grundsatz, daß das Amt ein Ausfluß des allgemeinen Priesterthums der Christen sei. – Wenn Luther die Lehre von dem geistlichen Priesterthum der Christen aufs Neue auf den Leuchter bringt, so freut sich ohne Zweifel jedermann, der die Wahrheit lieb hat. Wer wird es leugnen wollen, daß alles Göttliche, also auch das Amt Eigenthum derer sei, welche das geistliche Priesterthum besitzen? Extra ecclesiam nulla salus – und nur bei der Gemeinde des HErrn ist Gottes Sitz und die Quelle Siloah. So wird auch niemand leugnen, daß nur wer das geistliche Priesterthum besitzt, zum Amte des Neuen Testamentes gelangen kann, kein Heide, kein Jude, – daß vermöge des geistlichen Priesterthums ein Laie giltig tauft und hiemit Gnade, die er selbst besitzt, auf diejenigen fortpflanzt, welche sie zuvor nicht besaßen. Aber etwas ganz anderes ist es mit dem Amte des Neuen Testaments, welches das Priesterliche Volk des HErrn zu dem ewigen Leben im Anschauen JEsu geleiten soll. Dies Amt ist offenbar eine besondere Stiftung Christi innerhalb der Gemeinde und für sie. Daß es also sei, davon zeugen alle Stellen des Neuen Testamentes, welche überhaupt vom Amte handeln; jeder, der sich die Stellen zusammenstellen will, kann sich davon aus eigener Sicht überzeugen. Kaum wird die bekannte Stelle Matth. 18., welche der Gemeinde Befugnis zuertheilt, im Ernste dagegen aufgebracht werden, da ja die Vereinigung mit den übrigen Stellen, die vom Amt reden, so nahe liegt. Dagegen beweisen alle Stellen, die Luther so gerne für das gewis unbestreitbare Recht der Gemeinden, über die Lehre zu urtheilen, anführt, z. B. Joh. 10, 27. (v. 3.), Matth. 7, 15. ff. 1. Thess. 5, 21., Matth. 24, 4. ff. etc., für den Hauptgrundsatz nichts, weil Recht und Pflicht, sich vor falschen Lehrern zu hüten, wohl die Pflicht der Trennung von solchen, keineswegs

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern. Verlag der C.H. Beck'schen Buchhandlung, Nördlingen 1850, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Unsere_kirchliche_Lage_im_protestantischen_Bayern.pdf/109&oldid=- (Version vom 1.8.2018)